Fast ein Präzedenzfall für Schweizer ISPs

Die juristischen Scharmützel mit dem Waadtländer Untersuchungsgericht sind zu einem Ende gekommen. Ausgestanden sind die Rechtsunsicherheiten für die Zugangsanbieter jedoch noch nicht.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2003/09

     

Mitte Dezember vergangenen Jahres erhielten rund 30 Schweizer Provider Post von der Waadtländer Untersuchungsrichterin Françoise Dessaux. Im Schreiben wurden sie ultimativ dazu aufgefordert, den Zugang zu drei Websites mit offenbar ehrverletzendem Inhalt zu sperren.
Die Untersuchungsrichterin versuchte, auf dem Rechtsweg jene Unternehmen in die Pflicht zu nehmen, die allein den Zugang zu Inhalten ermöglichten – zu Inhalten notabene, die auf einem Webserver im Ausland gespeichert sind. Ursprünglich waren die Inhalte einmal bei Sunrise gespeichert gewesen, zum Zeitpunkt, als Richterin Dessaux gegen die Provider aktiv wurde, jedoch nicht mehr.
Das Vorpreschen der Richterin löste unter den betroffenen Providern einigen Wirbel aus. In mehreren Telefonkonferenzen wurde versucht, eine koordinierte Vorgehensweise festzulegen. Am Anfang gaben sich viele Provider kämpferisch, schliesslich beugten sie sich jedoch dem richterlichen Druck und verbannten die entsprechenden DNS-Einträge, über die der Zugriff auf die Webseiten auf die Zieladresse weitergeleitet wurde, aus ihren Systemen.

Kalte Füsse und ein Heisssporn

Nicht alle kriegten jedoch vollends kalte Füsse. Einige Provider leiteten die Adressen auf Protestseiten um. Green.ch wollte es sogar drauf ankommen lassen und liess die Frist, um der Aufforderung nachzukommen, verstreichen. «Mit unserer Haltung haben wir einen Kunden gewonnen, der unsere Standhaftigkeit gut fand», gibt Green.ch-Geschäftsführer Guido Honegger Auskunft.
Honegger geht nun aber davon aus, dass für ihn die Sache noch nicht ausgestanden ist und dass er für seine Unnachgiebigkeit mit einer Busse bestraft wird. Die anderen Provider, die zur Sperrung aufgefordert wurden, reichten umgehend Rekurs gegen die Verfügung der Untersuchungsrichterin ein. Mit Erfolg.
Das zuständige Gericht hat dem Rekurs letzte Woche stattgegeben. Damit ist der Fall abgeschlossen, der grundsätzliche Konflikt, inwieweit die Zugangsanbieter verantwortlich gemacht werden können, ist es hingegen noch lange nicht. Es sei noch zu früh, um von einem Präzedenzfall zu sprechen, führt die Hausjuristin von Sunrise, Carmen de la Cruz, aus.

Nach wie vor Rechtsunsicherheiten

Die zuständige Untersuchungsrichterin habe sich auf spezielle Regelungen im kantonalen Prozessrecht der Waadt gestützt, bestätigt auch Internetrechtsexperte David Rosenthal. Möglich also, dass in anderen Kantonen ähnlich gelagerte Verfahren unterschiedlich ausgehen würden.
Mehr Klarheit für die Rechtsunsicherheiten im Internet versprechen sich die Juristen von bundesrätlichen Gnaden.
Auf eine Motion hin hat EJPD-Chefin Ruth Metzler eine Expertenkommission zum Thema Netzwerkkriminalität ins Leben gerufen. Sie soll sich vor allem auch der Problematik im Zusammenhang mit der Kinderpornographie annehmen. Der Bericht dieser Kommission wurde für dieses Frühjahr in Aussicht gestellt. (map)


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