Die Älteren unter uns erinnern sich noch, es gab einmal eine IT-Messe in der Schweiz, die Orbit/Comdex. Sie ist Geschichte. In Taiwan gibt es eine Computex und die schreibt Geschichte. 2004 ist sie gemessen an der Ausstellerzahl nach der Cebit die zweitgrösste IT-Messe der Welt und die einzige, die derzeit bei Ausstellungsfläche und Besucherzahl im zweistelligen Bereich zulegt. Sie ist aber auch ein Symbol für die grundsätzlichen Unterschiede der europäisch/amerikanischen und asiatischen Mentalität.
Computex 2004, dass heisst eine Ausstellung in vier Bauten rund um das höchste Gebäude der Welt, die nie als Messehallen konzipiert worden sind. Das bedeutet 35 Grad Celsius und 100% Luftfeuchtigkeit auf dem Weg von und zum klimatisierten Bus, der zwischen den Gebäuden pendelt.
Das heisst maximale Standgrössen, die auf der verschiedenen Orbit die untere Grenze markiert haben. Das heisst durchschnittliche Standgrössen von den Abmessungen eines Doppelbetts. Das heisst aber auch Geschäftigkeit und Umsätze in jeder noch so kleinen Bude.
Wer das Treiben in den engen Gängen beobachtet, hat das Gefühl, auf einem indischen oder arabischen Markt zu sein. Dagegen mutet der Pomp und die Eitelkeit europäischer Messestände barock und überholt an. Hier öffnen sich die Tore für die Öffentlichkeit auch erst am letzten Messetag. Vorher wird vier Tage lang nur Business gesprochen.
Optimismus und Flexibilität
In Taiwan ist man der festen Überzeugung, dass die IT-Krise jemand anderen betreffen muss, auf keinen Fall einen selber. Optimismus ist hier keine Phrase von Politikern auf der Suche nach dem Wirtschaftsaufschwung. Wenn es mit dem aktuellen Produktangebot nicht richtig läuft, entwickelt man etwas anderes oder kopiert es von der Konkurrenz.
In dieser Flexibilität liegt die wirkliche Stärke und Dynamik der taiwanischen IT-Industrie. Es gibt PCI-Express als neue Schnittstelle, also entwickelt man entsprechende Grafikkarten. Dass die bei 256 MB Arbeitsspeicher onboard nicht einmal die Bandbreite aktueller AGP-Ports benötigen, spielt dabei keine Rolle. Während der deutsche Speicherhersteller
Infineon sich damit beschäftigt, ob er in die Schweiz umziehen soll, bietet selbst die kleinste taiwanische Memory-Bude DDR2 Module an.
Was Sinn macht, denn der Startschuss für alle grossen Boardhersteller zum Thema DDR2-Motherboards und PCI-Express fällt zwischen dem 16. und 21. Juni diesen Jahres. Dann gibt es offiziell Produkte mit Intels i915 Chipsatz. Und Taiwan steht Produkt bei Fuss. Boards, Speicher, Kühler, Grafik- oder RAID-Karten, die Computex bietet alles, nur keine europäischen Anbieter.
Alles ist möglich
Dabei handelt es sich keineswegs um ein rein europäisches Problem.
Intel spricht seit Jahren von Digital Home, ohne mit Anwendungen und Ideen aufwarten zu können, wofür die
GHz seiner Prozessoren eigentlich benötigt werden. Während Intel auf seiner Pressekonferenz mühsam 6.1 Sound als die Zukunft des Home-Entertainments beschrieb, sprach der erfolgreichste IT-Tycoon Taiwans, Stan Shih, Chairman der
Acer Group, davon, «er hoffe, in 20 Jahren Taiwan als führende Nation im Bereich ‹Digital Home› zu finden». Shih, gerade einmal 60 Jahre alt, tritt dieses Jahr von seinem Posten zurück, um Platz für die nächste Unternehmergeneration zu machen.
Es wird aber wohl keine 20 Jahre dauern. MP3-Player mit und ohne Zusatzfeatures, für Sport oder PKW, Digitalkameras für Standbilder oder Filme, digitale Videorecorder als Barebone oder Mini-PC, auf der Computex alles kein Problem. Man überlässt es dabei dem Markt und somit letztendlich dem Kunden, zu entscheiden, was er haben möchte. Das impliziert, dass man vielleicht Fehler macht. Doch anders als bei uns bedeutet hier ein Fehler vor allem, dass etwas korrigiert werden, nicht, dass man einen Schuldigen finden muss.
Cash as cash can
Immer wieder trifft man auf Produkte, die man doch schon woanders gesehen zu haben glaubt. Warum soll ein Hersteller von NAS- und SAN-Systemen keine Kugelschreiber mit USB-Stick anbieten? Solange es Gewinn bringt ist hier jedes Geschäft ein gutes Geschäft. Europa leidet all zu oft am «Kloschüssel-Syndrom». Wir sind uns einfach zu fein, mit einem einfachen Produkt Geld zu verdienen.
Taiwan ist heute kein Billiglohnland mehr, was die Auslagerung der Produktion nach Festland-China beweist. Wenn aber der Produktionsort keine Rolle spielt, warum gibt es dann kaum einen Schweizer Netzteilhersteller? Oder Hersteller von Flash Card-Readern? Weil es sie schon gibt? In Taiwan kommen täglich neue dazu.
Weil unsere Ingenieure so etwas nicht können? Eher unwahrscheinlich. Weil keine Schweizer Bank für so etwas einen Investitionskredit bewilligen würde? Schon wahrscheinlicher. Weil man als Hersteller von Firewalls zwar keinen Umsatz, aber sehr viel Eindruck mit seiner Visitenkarte machen kann? Das dürfte es wohl sein. (tm)