Die Schweiz ist auch eine Tief-Preisinsel

Mit parallel importierten Markenprodukten bringt der Online-Discounter Netto24.ch das Preisgefüge in der Schweizer Consumer-Electronics-Branche ins Wanken. Zur Freude der Konsumenten und zum Ärger von Schweizer Händlern, Herstellerniederlassungen und Generalimporteuren.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2006/09

     

Es gibt ein Reizwort in der CE-Branche, das vielen Radio-TV-Händlern die Laune schon vor dem Frühstück gründlich verdirbt: Die Preisinsel AG. Unter dieser Bezeichnung firmieren seit 1997 die Gebrüder Thoma (Bild), Gründer und Betreiber von Netto24.ch, der nach eigenen Angaben meistbesuchten Discount-Mall der Schweiz. Diese liegt, wie der Name vermuten lässt, nicht im Industriegebiet oder an der Autobahnausfahrt, sondern im Internet. Doch das Business der grossen Fachmärkte wie Mediamarkt oder Interdiscount ist es, worauf es die Thoma-Brüder und ihre elf Mitarbeitenden abgesehen haben.

Gegründet von Ex-Fachhändlern

Gegründet wurde Preisinsel vor neun Jahren in Flawil von Lukas und Markus Thoma als herkömmliches Radio-TV-Geschäft. «Wir haben früh erkannt, dass der Kunde kompetente Beratung wünscht, aber nicht mehr bereit ist, die zu hohen Fachhandelspreise zu bezahlen», sagt Geschäftsführer Markus Thoma zu IT Reseller. Man habe in der Folge damit begonnen, die überteuerten CE-Produkte mit Rabatten zu verkaufen. Für das Marketing wurde von Beginn weg fast ausschliesslich auf das damals neue Medium Internet gesetzt. Im Jahr 2002 bezog Preisinsel das heutige Geschäftslokal in Sihlbrugg, wo auch ein Ladengeschäft betrieben wird. Riesig ist dieses nicht, doch die wichtigsten und beliebtesten LCD- sowie Plasma-TV und Home-Cinema-Anlagen kann sich der Kunde dort anschauen, einpacken und mitnehmen oder auch später im Internet-Shop bestellen: «Andere haben die grösste Ausstellung, wir wollen den besten Preis», schmunzelt Markus Thoma.
Das Konzept der beiden Brüder mit der Mischung aus Ladengeschäft und Internet-Shop funktioniert offenbar: Über 100’000 Besucher verzeichnet ihr E-Shop jeden Monat. Im ersten Quartal des Jahres 2006 konnte der Umsatz um 39 Prozent gesteigert werden. Seit 2005 sitzt mit dem ehemaligen Scout24-Mitinhaber und früheren Beisheim-Holding-Manager Martin Saidler ein Investor mit im Preisinsel-Boot, der seine Nase für das lukrative Internet-Business schon mehrmals bewiesen hat. Im Verlauf des Jahres 2005 kamen zu den CE-Produkten auf Netto24.ch auch Haushalts- und IT-Artikel wie Computer und Notebooks samt Zubehör dazu. In Kürze soll zudem ein Office-Sortiment zur Verfügung stehen, und schon werden Partner oder Lieferanten für Sportartikel, Reisen und Spielzeug gesucht. Denn auch dort sind die Fachhandelspreise noch überall zu hoch, finden die Gebrüder Thoma.

Preisgefüge ins Wanken bringen

Dass die Preisinsel das etablierte CE-Preisgefüge gehörig ins Wanken bringt, zeigen einige Vergleiche: Fast 4000 Franken Einkaufspreis bezahlt beispielsweise ein Fachhändler bei Philips Schweiz für einen LCD-TV, der auf Netto24.ch schon für 3159 Franken zu haben ist. Oder: Dipl. Ing. Fust bewirbt in einem kürzlich erschienenen Prospekt einen neuen Plasma-Fernseher für 4699 Franken. Dasselbe Gerät bieten die Thoma-Brüder für 3469 Franken an. Lukas Thoma will die Tiefpreisgarantie der Konkurrenz testen. Er greift zum Telefonhörer und ruft im Fust-Laden am Hauptsitz in Uzwil an: «Ich habe dieses Gerät 1000 Franken günstiger bei Netto24.ch gesehen», sagt er. Der verdutzte Verkäufer am anderen Ende der Leitung beeilt sich zu erklären, dass die Preisgarantie im Vergleich mit dem Internet-Handel generell nicht gelte, dass er über Preisinsel nur Schlechtes gehört habe und dass man mit ihm im Laden jederzeit über Preise reden könne. Dass die Nerven bei der Konkurrenz offenbar derart blank liegen, bestätigt die Gebrüder Thoma darin, ihren Job richtig zu machen. «Preisvergleiche sind unser tägliches Geschäft», sagt Lukas Thoma. Man wolle so viel wie möglich an den Endkunden weitergeben: «Unsere Stärke ist, dass wir über die letzten Jahre sehr effizient geworden sind und dank unseren schlanken Strukturen den Break-Even mit wenigen Prozent Marge erreichen.» Tatsächlich verkaufen die Thoma-Brüder alle ihre Artikel in den meisten Fällen mit einer typischen IT-Marge von 5 bis 10 Prozent.

Aus Tetora hinausgeschmissen

Während sechs Jahren waren die Brüder Mitglieder der Fachhandels-Einkaufsgruppe Tetora. Mitte 2005 wurde ihnen gekündigt. Die mündliche Begründung dafür lautete, dass die Preispolitik von Preisinsel mit der Philosophie von Tetora nicht kompatibel sei. Die von Tetora empfohlenen Verkaufspreise sind zwar nicht verbindlich, eine solche Preisbindung wäre in der Schweiz ja durch das Wettbewerbsrecht verboten. Dennoch sind Händler, die diese Empfehlungen unterbieten und so an der sakrosankten 30-Prozent-Marge des klassischen CE-Handels sägen, natürlich nicht gern gesehen: «Viele Händler waren genervt, weil ein Mitglied der Gruppe billiger verkauft, als sie selber einkaufen», erklärt Lukas Thoma.
Seit sie von Tetora und auch von einigen Herstellerniederlassungen oder Generalvertretungen in der Schweiz nicht mehr oder nur zu schlechten Konditionen beliefert werden, setzen die Gebrüder Thoma auf die Karte Grauimport: «Man zwingt uns dazu, parallel zu importieren, um unseren Kunden einen guten Preis bieten zu können», so Lukas Thoma. CE-Ware von allen bekannten Herstellern ist in rauhen Mengen aus Deutschland und den Benelux-Staaten Frankreich, Belgien und Holland erhältlich. Und das zu Preisen, die im Einzelfall satte 20 Prozent unter dem Schweizer Einkaufspreis liegen. «Die Dealer haben oft selber Fachgeschäfte und kaufen in grossen Mengen ein. Den Herstellern ist egal, wohin ihre Ware geht, solange sie verkaufen», sagt Lukas Thoma. Parallelimporte würden auch helfen, die Verfügbarkeit zu verbessern, denn diese sei beim Schweizer Importeur oder der Schweizer Niederlassung längst nicht immer garantiert. «Wenn der Preis in der Schweiz überall stimmte, würde sich der Parallelimport allerdings nicht lohnen», ergänzt Markus Thoma.

Rosinen-Sortiment mit Lockvögeln?

So kommen also täglich ganze Palettladungen voll LCD- und Plasma-TV, digitalen Foto- und Videokameras oder DVD-Recordern in die Schweiz. Zur Freude der Konsumenten und zum grossen Ärgernis der Generalimporteure wie John Lay (Panasonic) und Sacom (Pioneer) oder der Länderniederlassungen von Philips, JVC, Sony oder Samsung, die das Geschäft mit den Produkten dieser bekannten Marken natürlich lieber auf ihre eigene Rechnung machen würden.
Bei den meisten Herstellern setzen die Thoma-Brüder für ihr Sortiment auf rund 20 Schlüsselprodukte, die sie in grossen Mengen importieren und zu günstigen Preisen auf den Markt bringen. Den oft an die Online-Händler adressierten Vorwurf, dass sie nur Rosinen führen würden und selbst deren Verfügbarkeit nicht garantieren könnten, kontert Markus Thoma entschieden: «Die Idee, dass ich als Panasonic-Händler in meinem Ladengeschäft das ganze Sortiment dieses Herstellers ausstelle, entspricht doch schon lange nicht mehr der Realität. Jeder Händler konzentriert sich heute auf Produkte, die gut laufen und die vom Hersteller intensiv beworben werden.» Was die Verfügbarkeit angehe, sei diese für den Online-Händler noch weit geschäftskritischer als für den herkömmlichen Fachhändler oder Retailer: «Wir können uns im Internet einfach keine Lockvogel-Angebote leisten, denn mit einem Klick ist der Kunde beim nächsten Shop», sagt Lukas Thoma.

Dienstleistungen inklusive

Auch von der oft geäusserten Kritik, dass Internet-Händler in Sachen Beratung und Garantieleistungen gegen­über dem Fachhandel ein Nachsehen hätten, wollen die Thoma-Brüder nichts wissen: «Beratung gibt es in unserem Ladenlokal, telefonisch über die Hotline oder am Computer im Live-Chat. Die Garantien werden von den Herstellern gewährleistet, auch wenn ein Gerät aus dem Ausland importiert wurde. Im Einzelfall kann es natürlich länger dauern, wenn etwa ein TV-Gerät in Deutschland oder in Holland repariert wird und nicht vom Schweizer Importeur», so Markus Thoma. Kürzlich habe Preisinsel zudem eine dreijährige Garantieverlängerung für grosse TV-Geräte eingeführt, wie sie auch von Fachmärkten wie Fust und Interdiscount angeboten wird. Diese beinhaltet die Abholung beim Kunden sowie ein kostenloses Ersatzgerät während der Reparaturdauer. «Damit wollen wir die hohen Investition unserer Kunden noch besser schützen», so Markus Thoma.
Auch in Sachen Heimlieferung und Installation steht der Internet-Händler keinesfalls ohne Dienstleistungen da: «Über die Partnerfirma MXS aus Basel können Heimlieferungen, Inbetriebnahmen, Wandinstallationen und Verkabelungen in der ganzen Schweiz angeboten werden», so Markus Thoma weiter. Angesichts dieser immer grösseren Konkurrenz aus dem Internet, die es mit dem Fachhandel bald auch in dessen Kompetenzgebieten Beratung und Service locker aufnehmen kann, werden viele Radio-TV-Händler nicht mehr länger darum herumkommen, ihre Preis- und Margenpolitik zu überdenken.

Bunter Online-Handel

Ein Blick auf Preissuchmaschine.ch zeigt: Internet-Shops, die CE- und IT-Artikel anbieten, gibt es fast schon wie Sand am Meer. Der klassische Retail hält sich mit seinen Web-Aktivitäten noch zurück. Interdiscount etwa erwirtschaftet nach Angaben von Geschäftsführer Joos Sutter mit den E-Commerce-Aktivitäten auf der Website jährlich etwa den Umsatz einer kleineren Filiale. Die Konkurrenz aus dem Web nimmt Sutter zwar ernst, er behauptet aber, dass Interdiscount sie noch nicht spüren würde.
Viele kleinere CE-Web-Shops sind der verzweifelte Versuch von kleinen Tetora-Händlern, sich über ihren dörflichen Horizont hinaus einen landesweiten Markt zu eröffnen. Grafisch und von der Benutzerführung her sind diese Shops teilweise miserabel gemacht und der Kunde sollte davon auch nicht allzu viel erwarten. Mit Architronic, Fischer Hifi, Preisinsel und anderen ist aber in den letzten Jahren eine neue Generation von CE-Online-Shops herangewachsen: Diese Marktteilnehmer haben ohne weiteres das Potential, den Fachmärkten Konkurrenz zu machen. Mediamarkt Deutschland hat den Warnruf gehört und ist seit einiger Zeit mit MediaOnline.de stark und strategisch im Web präsent.


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