Der Gesundheitsmarkt in der Schweiz bietet IT-Dienstleistern ein Tummelfeld mit ungeahntem Potential. Grundsätzlich unterteilt sich dieser Markt in drei Segmente: In den Bereich der Leistungserbringer wie es die Spitäler sind (siehe Kasten), in den Bereich der öffentlichen Verwaltung, sprich
E-Healthcare, und drittens die Krankenversicherer. Die Aktivitäten der drei grossen Player im Schweizer Markt konzentrieren sich vornehmlich auf die Krankenversicherer.
In diesem Bereich standen sich bisher der Outsourcing-Riese CSC mit der «Swiss Health Platform», basierend auf der Erneuerung der Applikation Syrius der St.Galler Softwareschmiede Adcubum,
Swisscom IT Services (SCIS) mit der Lösung «Valsana» der Zermatter BBT Software und
T-Systems in Zusammenarbeit mit der Fehraltorfer Secon gegenüber. IT Reseller hat mit allen drei Playern über den Stand der Dinge gesprochen.
«Die Krankenversicherer sind in ihrem Kerngeschäft stark auf Informatik angewiesen und haben daher auch einen hohen Bedarf an Unterstützung in diesem Bereich», sagt Reto Schegg, Account Executive für den Bereich Healthcare bei CSC Schweiz, gegenüber IT Reseller. Es zeigt sich zudem bei praktisch allen grösseren Versicherern in der Schweiz, dass die Kernapplikationen erneuert werden müssen. «Insofern ist bei den Versicherern das Thema umfassende IT-Lösung heute aktueller denn je», so Schegg.
CSC im Plan
Die Swiss Health Platform (SHP) wird derzeit beim grössten Betreiber von Kranken- und Unfallversicherungslösungen Centris in Solothurn implementiert. Die Applikation wird bei der Centris im eigenen Rechenzentrum betrieben.
HP liefert die Hardware, Adcubum das Produkt, CSC führt die Integration durch und Centris übernimmt den ASP-Betrieb sowie die Einführung der Kunden. Laut Schegg liege das Projekt auch nach drei Jahren im Zeitplan. Am 1. Juli sollen die Kunden der Luzerner Krankenkasse «Xundheit» auf die Plattform migriert werden. Bis Ende 2008 sollen dann alle 18 Krankenkassen, die heute die Dienstleistungen von Centris nutzen, angeschlossen sein. Im zweiten Quartal 2008 wird mit der Swica, dem grössten Centris-Kunden, begonnen. Zwischen 23 und 26 Millionen Franken investieren die Kassen laut Swica dafür. Ist die Lösung bei allen Centris-Kunden eingeführt, hängen laut CSC 13 Prozent aller Grundversicherten in der Schweiz an dem System. Hinzu kommen weitere 16 Prozent der Versicherten, die über die bestehende Syrius-Lösung bei der Sanitas und der Visana, welche die Lösung noch im Laufe dieses Jahres einführen wird, verwaltet werden. Die Lösung Syrius/Swiss Health Platform soll dann einen Marktanteil von knapp 30 Prozent haben. Andere Player im Markt haben in der Vergangenheit diese Rechnung in Frage gestellt: So sind 30 Prozent von 7,2 Millionen Grundversicherten rund 2,2 Millionen. Zudem sind nicht alle der 1,7 Millionen Versicherten der Centris-Krankenkassen dort auch grundversichert. Schegg lässt indes zuversichtlich verlauten: «Es werden bereits intensive Gespräche mit weiteren Versicherungen geführt, so dass dieser Anteil durchaus noch steigen könnte.»
Die Vorteile laut CSC
Die Syrius-Applikation ist bereits seit dreieinhalb Jahren auch bei grossen Krankenversicherern wie der staatlichen Sozialversicherung der Slowakei mit 2,5 Millionen Versicherten im Betrieb. Ein Plus für die CSC-Lösung also, da über längere Zeit Erfahrungen mit Grosskunden in das Produkt eingeflossen sind, erklärt Schegg. Das Konkurrenzprodukt Valsana (BBT/SISC) beispielsweise sei hingegen bisher nur bei kleinen und kleinsten Versicherern zum Einsatz gekommen, habe ergo die Komplexität einer Einführung bei einem Grosskunden weder technologisch noch fachlich, noch organisatorisch erfahren. «Insofern haben Themen wie die Prozessautomatisierung nie dieselbe Relevanz und Reife wie bei Syrius und CSC bekommen», tritt Schegg selbstbewusst für «seine» Lösung ein.
Technisch setzt die Swiss Health Platform auf einer service-orientierten Architektur auf. Die Schnittstellen ermöglichen ein Release-Management und die Nutzung von Services anderer Systeme. Da man von vornherein konsequent auf offene Architekturen und Open Standards gesetzt habe, vollziehe sich zudem die Modernisierung des bestehenden Syrius-Systems hinsichtlich Business-Process-Management und serviceorientierte Architektur evolutionär und ohne grosse technische und fachliche Herausforderungen, sagt Schegg. Die nächste zu überwindende Hürde dürften nun die Krankenkassen selbst sein. Insgesamt müssen über 4000 Mitarbeiter für das neue System geschult werden. «Das wird die grösste Herausforderung sein», Schegg abschliessend.
Der Stand der Dinge bei SCIS
Richard Schwab, seit letzten August Bereichsleiter Healthcare bei
Swisscom IT Services (SCIS), trennt die Aktivitäten seines Unternehmens ebenfalls in die anfangs aufgeführten Marktsegmente. «Man muss uns als eine Art Grunddienstleister für das Gesundheitswesen verstehen», sagt Schwab im Gespräch mit IT Reseller. Die für Healthcare zuständige eigene Geschäftseinheit tritt ähnlich wie im Bankensektor als Integrator auf, betreibt IT-Infrastrukturen, integriert Software-Lösungen und beschäftigt sich mit Beratung und dem Betrieb von branchenspezifischen ASP-Services. Zu den Kunden zählen wie bei CSC Sozialversicherer, Spitäler und Kliniken, aber auch andere Dienstleister aus dem E-Healthcare-Bereich, die sich mit der Vernetzung im Gesundheitswesen beschäftigen.
Swisscom IT Services will sich als Partner aller Interessengruppen verstanden wissen und unterstützt sowohl Leistungserbringer als auch Kostenträger. «Wir können als Swisscom IT Services allerdings nicht alle Bedürfnisse komplett abdecken und erweitern deshalb laufend unsere Partnerschaften, wie zuletzt mit dem Krankenversicherungs-Lösungsanbieter Adcubum», relativiert Schwab. «Man ist mittlerweile ein bisschen realistischer oder auch marktorientierter geworden», so Schwab. Aus seiner Sicht beschränken sich viele Anbieter, wie zum Beispiel
T-Systems, auf die Lieferung von Technologie oder auf den reinen Infrastrukturbetrieb, während CSC und Swisscom IT Services auch die Integration und Einführung von Lösungen anbieten. «Der Markt ist allerdings schwierig zu beurteilen. Viele Krankenversicherungen, respektive Versicherungen generell, entwickeln heute noch immer Lösungen selber.» Beispielsweise benutzen die beiden grossen Krankenkassen Helsana und CSS, mit je über einer Million Versicherten, hauptsächlich eigene Lösungen.
Ein weiteres zukunftsträchtiges Geschäft sieht Schwab unter anderem in Selfservice-Angeboten, ähnlich wie im E-Banking. «Solche Angebote sind im Kommen. Dort setzen wir auch mit neuen Lösungen an», so Schwab.
Aus für SCIS-BBT-Projekt
Im Kampf um die beste Krankenkassen-Lösung war SCIS bis jetzt wie erwähnt mit der Lösung «Valsana» der Zermatter BBT Software mit im Spiel. Rund 35 Kassen in der Schweiz fahren auf Velsana.
Swisscom IT Services sollte die Lösung bei den Krankenversicherern KPT und ÖKK integrieren. Auf die Frage nach dem aktuellen Stand der Integration hält sich Schwab eher bedeckt und wechselt das Thema. So soll die Einführung des neuen Systems bereits für letztes Jahr vorgesehen gewesen sein. Bis heute ist die Integration aber nicht abgeschlossen. Die Komplexität in der Produktentwicklung sei unterschätzt worden, heisst es in der Branche. In einem Schreiben der BBT Software vom 5. April an seine Kunden, was IT Reseller vorliegt, wird denn auch die Beendigung des Projektes verkündet. Swisscom IT Services und BBT hätten das Gesamtprojekt einem Review unterzogen, der vor kurzem abgeschlossen wurde, und das Projekt werde nun nach intensiven Verhandlungen mit SCIS in der ursprünglich vereinbarten Ausgestaltung nicht weitergeführt, heisst es da. Über die Modalitäten der Beendigung der Kooperation haben beide Parteien Stillschweigen vereinbart. Schwab war denn auch bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe zu keiner Stellungnahme zu bewegen. Auch BBT Software gibt sich verschwiegen. BBT werde seine Produkte Valsana 5.5, Valsana Enterprise, Sunet, Spagat und Scope in bisheriger Form warten und weiterentwickeln. Man werde nun die Fertigstellung und Markteinführung der neuen IT-Lösung mit der KPT gemeinsam beurteilen und dann das weitere Vorgehen festlegen. Die Bezeichnung Valsana wird nicht mehr benutzt. Bis zu einem Rebranding werden die Projektnamen Valsana 6EV (Einzelversicherung) und Valsana 6UG (Unternehmensgeschäft; Urheberrecht bei der Suva) verwendet.
Swisscom IT Services ist neu unterdessen auch Integrationspartner für das Produkt Syrius von Adcubum.
T-Systems in den Startlöchern
Dritter wichtiger Player auf dem IT-Schlachtfeld Gesundheit ist
T-Systems. Ähnlich wie die beiden anderen Mitspieler tanzt T-Systems auf mehreren Hochzeiten (E-Healtcare, Spitäler, Versicherer). So läuft in St.Gallen beispielsweise unter dem Namen Mediswiss (Medical Data Interchange) ein Projekt in Zusammenarbeit mit dem Verein für Informatik. «In einer ersten Phase wird derzeit für das Kantonsspital St.Gallen ein Fachnetz Kardiologie aufgebaut, das das Spital mit Facharztpraxen niedergelassener Kardiologen und den kardiologischen Abteilungen anderer Spitäler wie der Herzchirurgie des Unispitals Zürich verbindet», sagt Helmut Oswald, Head Industry Line Healthcare T-Systems Schweiz, gegenüber IT Reseller. Ziel ist es, einen medienbruchfreien Datenaustausch zwischen neuen und bestehenden lokalen Gesundheitsnetzen über Kantons- und Ländergrenzen hinweg zu ermöglichen. «Im Bereich Krankenversicherungs-Lösungen kommen CSC, SCIS und T-Systems zusammen auf einen Marktanteil zwischen 45 und 50 Prozent», schätzt Oswald. «Wir befinden uns hier somit im Marktaufbau und in der Marktentwicklung. Bislang setzen viele Versicherer noch auf Eigenentwicklungen.» Ähnlich wie es im Bankensektor bereits seit längerem zu beobachten ist, würden sie aber zunehmend für den Einsatz von Standardlösungen sensibilisiert. «Insbesondere kleine bis mittlere Krankenversicherer stehen den entsprechenden Kosten- und Effizienzpotentialen mehr und mehr aufgeschlossen gegenüber», sagt Oswald. Im Bereich der ERP-Lösungen für Kranken- und Unfallversicherer hat sich T-Systems in der Schweiz letzten Dezember mit dem Fehraltorfer Spezialisten für Versicherungs-Software Secon zusammengetan. Gemeinsam soll ein ASP-Angebot für Secons Krankenkassen-Plattform «Siddharta» entwickelt werden. Das Angebot umfasst ASP Services, Hosting, Application Management Service und Integrationslösungen. Secon soll bei dem Deal die Applikations-Entwicklung, die Implementierung und Migration verantworten. T-Systems wird die Verantwortung für den Betrieb der Kundensysteme auf der Plattform übernehmen. Die Zusammenarbeit zwischen T-Systems und Secon beschränke sich zurzeit auf eine Absichtserklärung, munkelt die Konkurrenz. Oswald beantwortet diese Frage nicht konkret. «Die Lösung ist bereits bei mehreren Krankenversicherungen wie zum Beispiel der Atupri, der Kolping Krankenkasse, der Galenos, der Klug Krankenversicherung (Mandant der Helsana), der Provita sowie bei einigen Niederlassungen der ÖKK im Einsatz», sagt Oswald. Das grösste Problem, mit dem sich T-Systems konfrontiert sieht, sei die Befindlichkeit des Kunden, wenn er seine bestehende Plattform auf eine neue zu überführen habe. Dabei stünden Fragen der Sicherheit, der Datenkompatibilität und der optimalen Abbildung seiner Prozesse im Vordergrund. (sk)
Spitäler und E-Health
Bei den Krankenhäusern neigt sich die grosse Welle der Einführung von Spitaladministrationssystemen langsam dem Ende entgegen. Grosser Bedarf besteht hier besonders an Bilddatenbanken, die eine zentrale Archivierung zum Beispiel von Röntgenbildern ermöglichen, wie Schegg und auch Schwab erklären. Bestehende klinische Informationssysteme werden früher oder später durch eine neue Generation mit einer zentralen Patientenakte abgelöst werden, die flächendeckend in Spitälern eingesetzt werden kann. «Langfristig wird auch im Spital eine Prozessorientierung unvermeidbar sein», sagt Schegg von CSC. «Die klinikspezifischen IT-Anwendungen dürften daher nach und nach durch prozessorientierte Lösungen ersetzt werden.»
Im E-Healthcare-Bereich hinkt die Schweiz ihren Nachbarn eher hinterher. Abgesehen von kleineren Schritten wie- Prozessautomatisierungen, dürften keine Veränderungen im grossen Stil zu erwarten sein. «Der Entscheid für die Versichertenkarte hat keinen grossen Schritt nach vorn gebracht; im Gegenteil, die Einführung der Karte entspricht dem kleinsten gemeinsamen Nenner», sagt Schegg. Sie habe grossen Initiativen, wie wir sie zurzeit in Deutschland oder in Österreich erleben, eher den Wind aus den Segeln genommen. «Die Schweizer Versichertenkarte ist funktional trivial und lässt zum Beispiel die Anwendung von hochsicheren Technologien, welche für den Umgang mit sensiblen Gesundheitsdaten notwendig sind, nicht zu», kritisiert Schegg. So dürften vorerst auch keine Applikationen entstehen, die auf einer zentralen Patientenakte aufbauen. (sk)