Microsoft rettet Corel

Microsoft hat dem kanadischen Softwarehersteller Corel mit einer Investition von 135 Millionen Dollar unter die Arme gegriffen. Über die Hintergründe wird kräftig spekuliert.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2000/18

     

Mit der Finanzspritze besitzen die Redmonder knapp 25 Prozent des Aktienkapitals und werden zum grössten Anteilseigner von Corel. Die Microsoft-Leute wollen aber weder im Verwaltungsrat noch gar der operativen Leitung von Corel Einsitz nehmen.
Der Software-Gigant präsentiert sich damit als Weisser Riese, der einen angeschlagenen Mitbewerber – Word Perfect gilt neben Star Office immer noch als wichtigstes Konkurrenzprodukt zu MS Office – im letzten Moment rettet. Über die Beweggründe wird kräftig spekuliert.

Rechtliche Probleme?

Da ist etwa jener Teil der Vereinbarung, der besagt, dass bestimmte rechtliche Fragen mit dem Deal beigelegt seien. Was allerdings genau damit gemeint ist, mochte keiner der Beteiligten sagen. Im Gegenteil: Corel beteuert, nie beabsichtigt zu haben, gerichtlich gegen Microsoft vorzugehen.
Trotzdem erinnert man sich unwillkürlich daran, wie Microsoft seinerzeit mit Apple und Inprise (ehemals Borland) ähnliche Abmachungen getroffen hat.
Beide hätten Microsoft möglicherweise vor Gericht bringen können und brauchten Geld. Beide gaben Ruhe, als ihnen die Redmonter mit einer namhaften Investition zur Hilfe kamen.
Ein weiteres Motiv, das Microsoft zu der Hilfsaktion bewogen haben könnte, liegt in der kartellrechtlichen Auseinandersetzung, die demnächst in die zweite Runde geht: Der Konkurs eines Konkurrenten hätte Microsofts Unschuldsbeteuerungen nicht unbedingt glaubwürdiger gemacht. Ausserdem kann Microsoft nun bei Bedarf auf die durchaus nicht zu verachtenden
Grafik-Technologien von Corel zurückgreifen.
Wie auch immer: Corel kann sich an der Börse wieder sehen lassen und Interim-CEO Derek Burney wurde umgehend als Firmenchef bestätigt. Schliesslich scheint der Deal weitgehend sein Werk zu sein. Dem Vernehmen nach nahm es mit einem E-Mail von MS General Manager Tom Button an den neu ernannten Interim CEO von Corel seinen Anfang.

Oder geht’s um Linux?

Vielleicht galt der Blick von Microsoft aber auch vor allem dem Linux-Markt. Corel hat sich hier zu einem nicht ganz unwichtigen Spieler entwickelt. Könnte der Deal der Beginn einer Strategie sein, die darauf abzielt, die .Net-Technologie auf Linux zu portieren? .Net ist eine Umgebung, die auf dem Betriebssystem aufsetzt und grundsätzlich auf jedem System laufen könnte, und der Entscheid zwischen Windows und Linux ist in vielen Anwendungsbereichen noch keineswegs gefallen. Es liegt durchaus im Interesse von Microsoft – bei beschränkten Risiken und ohne sich eine Blösse geben zu müssen – so oder so dabei zu sein.
Corel spielt in der Linux-Welt eine immer wichtigere Rolle und sitzt in den verschiedenen Linux-Gremien. Dort könnte das Unternehmen für Microsoft zu einem wichtigen Verbündeten werden, wenn es darum geht, entscheidende Fragen wie Benutzeroberfläche, Setup und Schlüsselfunktionen zu definieren. Es wäre durchaus nicht im Interesse von Microsoft gewesen, wenn ein Linux-Distributor wie Red Hat Corel aufkauft.

Anwender profitieren

Die Corel-Anwender dürften vom Deal jedenfalls profitieren. Diese Meinung vertreten jedenfalls die Analysten von Meta Group. Erstens sei nun der Support für die Programme wieder gewährleistet und die Gefahr gebannt, dass Corel von einem Tag zum anderen verschwindet. Und da die Corel-Produkte als Teil des Abkommens auf .Net portiert würden, sei sichergestellt, dass sie dabei sein werden, wenn .Net sich als nächster wichtiger Schritt in der PC-Technologie etabliere.
Microsoft andererseits gewinne zusätzliche Entwickler für die .Net-Plattform und käme möglicherweise zu einer guten Möglichkeit, doch noch in die Entwicklung und Vermarktung von Linux einzusteigen. (fis)


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