Reto Meier war 47 Jahre alt, als er Knall auf Fall kündigte. Er hatte die Schnauze schon seit längerem gestrichen voll. Die immer hochtrabenderen Umsatzziele, welche er als Country Manager Switzerland hätte erreichen sollen, der immer stärker werdende Druck des europäischen Managements: All das führte dazu, dass er die Lust an seiner Arbeit verlor. Als er wieder einmal heftig mit dem EMEA-Chef zusammenprallte, schrie er diesen an, dass er seinen Scheiss doch künftig selber machen solle. Wutentbrannt verliess er das Sitzungszimmer und schrieb seine Kündigung. Als er das Schreiben seinem Vorgesetzten überreichte, fiel ihm zunächst einmal eine tonnenschwere Last von den Schultern. Doch dieses Gefühl der grenzenlosen Freiheit war nur von kurzer Dauer. Schon sehr bald begann Meier nämlich daran zu zweifeln, ob diese Vorgehensweise wirklich so clever war. Zwar hatte Meier beste Qualifikationen. Lange Jahre hatte er bei einem grossen IT-Konzern gearbeitet, wo er in ein Förderprogramm für künftige Top-Manager gesteckt wurde, an dem weltweit nur rund 200 Mitarbeiter teilnahmen. Seinen jetzige Job hat er mehr durch Zufall als durch aktive Stellensuche bekommen, denn der damalige EMEA-Chef seines heutigen Arbeitgebers hatte ihn direkt angesprochen und ihm ein äusserst lukratives Job-Angebot gemacht. Aufgrund dieser früheren Erfahrungen war Meier der Überzeugung, dass er sofort wieder eine neue Stelle finden würde. Doch dem war nicht so. Denn auch heute noch, nach über sechs Monaten intensiver Suche, hat er noch immer kein spruchreifes Angebot auf dem Tisch. Nachbarn, Bekannten und Freunden hat Meier noch nichts davon erzählt, dass er auf Jobsuche ist. Und beim Arbeitslosenamt hat er sich ebenfalls noch nicht angemeldet. Dass er, der einst so erfolgsverwöhnte Shooting-Star, stempeln gehen muss, mit dieser Vorstellung konnte er sich bis heute nicht anfreunden. Sollte er jedoch innerhalb der nächsten drei bis vier Monaten keine neue Stelle finden, so wird ihm wohl auch der Gang zum RAV nicht erspart bleiben. Denn bis dann werden seine finanziellen Reserven langsam aufgebraucht sein.
Karrieren sind heute weniger planbar
Waren Karrieren bis Ende der 80er Jahre noch mehr oder weniger planbar, so ist dies heute immer weniger möglich. Früher trat man einmal in eine Firma ein und konnte mit relativ grosser Sicherheit davon ausgehen, dort auch pensioniert zu werden. Heute sieht das alles ganz anders aus: Immer häufiger geraten vielversprechende Karrieren ins Stocken oder enden abrupt. Gerade bei Führungskräften, welche ihre Stelle verlieren oder leichtfertig kündigen, kann sich die Jobsuche als äusserst langwierig herausstellen. Manager mittleren Alters, die es versäumt haben, sich im Laufe der Jahre ein eigenes Netzwerk aufzubauen, sehen sich mit der Realität konfrontiert, dass sie kaum je wieder die Chance haben, in einer ähnlich gelagerten Funktion eine Anstellung zu finden. Denn sie sind aus Sicht des Arbeitgebers zu
teuer, überqualifiziert und wohl nicht zuletzt häufig auch eine indirekte Konkurrenz für den nächsthöheren Vorgesetzten. Einige dieser Führungskräfte schaffen es nach einiger Zeit dann doch wieder in eine neue Managementfunktion. Oftmals sind sie zudem an dieser Erfahrung menschlich gereift und werden so zu einer runderen Führungspersönlichkeit. Es gibt aber auch Menschen, die ihr berufliches Leben nach einer oft sehr schwierigen Zeit nochmals völlig neu ausrichten. Für sie steht nicht mehr die Karriere im Vordergrund. Vielmehr suchen sie eine sinnerfüllte Tätigkeit, in der sie eine gesunde Balance zwischen Arbeits- und Privatleben anstreben. Diese Führungskräfte haben für sich selbst entschieden, dass Glück und Zufriedenheit nicht unbedingt grösser werden, je höher man innerhalb einer Organisation aufsteigt. Eine Erkenntnis, die so auch von Mark Fallak vom IZA, dem unabhängigen Wirtschaftsforschungsinstitut für Arbeitsmarktforschung, bestätigt wird. Er meinte zu dieser Thematik einmal: «Der Mensch neigt dazu, ständig nach mehr zu streben, ohne aus dem Erreichten Zufriedenheit zu ziehen. Glücksforscher nennen das auch die Tretmühle des Glücks.»
Leben oder gelebt werden?
Gewiss: Es ist durchaus menschlich, dass wir uns mit dem, was wir haben, nicht zufrieden geben wollen. Andererseits belegen Studien aber auch, dass das Vorankommen im Beruf allein nicht zu mehr Zufriedenheit führt. So haben nämlich australische Forscher in einer Langzeitstudie herausgefunden, dass eine Beförderung nur kurzfristig glücklich und zufrieden macht. In dieser Studie wurden über zehn Jahre 2500 Probanden untersucht, welche die Karriereleiter emporstiegen. Dabei stellte man fest, dass die Mitarbeiter unmittelbar nach einer Beförderung tatsächlich glücklicher waren. Doch zeitgleich beschwerten sich die meisten von ihnen über längere Arbeitszeiten, erhöhten Stress, innere Unruhe und grössere Nervosität. Und so ging nach durchschnittlich drei Jahren die Jobzufriedenheit auf das Niveau vor der Beförderung zurück. Dabei blieb die körperliche Gesundheit unverändert. Die psychische Gesundheit jedoch litt dauerhaft unter der massiv gestiegenen beruflichen Belastung. Mit Joe Hogan, CEO von ABB, sowie Shell-Chef Peter Voser gaben dieses Jahr gleich zwei Top-Manager ihren Rücktritt bekannt – und dies aus privaten oder familiären Gründen. So befand Hogan beispielsweise, dass es nun an der Zeit sei, nach über 30 Ehejahren die Familie in den Vordergrund zu rücken. Ich finde, solche Beispiele sollten Mut machen, dem eigenen Leben auch im mittleren Lebensalter nochmals eine Wende zu geben. Werte, Vorstellungen und Prioritäten können sich im Laufe des Lebens ändern. Und es ist legitim und konsequent, diesen Idealen und Träumen auch Raum zu geben.
(ms)