Aderlass bei Adcore

In einer Nacht- und Nebelaktion hat die schwedische Adcore ihre ausländischen Geschäfte für ein Knäckebrot verhökert.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2001/12

     

Die Geschichte hört sich wie ein Wirtschaftskrimi an: Nur sieben Monate nachdem sich die Aseantic Media in Biel der Adcore-Gruppe angeschlossen hat, hat der börsenkotierte Konzern alle seine ausländischen Niederlassungen (mit Ausnahme von Japan) für einen Pappenstiel von umgerechnet rund 5 Mio. Franken verhökert. Als Käufer der ausländischen Geschäfte ausserhalb Schwedens und Japans tritt Martin Hauge auf, der Präsident der dänischen Niederlassung von Adcore.
Nachdem in den letzten beiden Jahren für den Kauf und Aufbau des Netzes über 200 Mio. Franken aufgewendet worden waren, steht die Gruppe vor einem Scherbenhaufen. Als Konsequenz tritt Adcore-CEO Göran Wagström zurück, seine Stelle übernimmt Ole Oftedal, bisher VR-Mitglied von Adcore.
«Amerikanische» Verhältnisse
Schon seit einigen Wochen war bekannt, dass Adcore Schwierigkeiten hatte, da einige Ländergesellschaften nicht profitabel arbeiteten. Adcore Finnland und Frankreich wurden bereits Anfang April durch einem MBO an die ehemaligen Besitzer «zurückgegeben». Bekannt ist, dass ausserhalb Schwedens nur wenig Länder profitabel waren. Und Adcore Deutschland, die ehemalige Berens und Partner, gelang Anfang Juni durch ungewöhnliche Vorgehensweisen in die Schlagzeilen.
Damals wurden alle bei Adcore Deutschland Beschäftigten in einem Seminarraum eines Hotels versammelt und von Länderchef Holger Lüke über die bevorstehenden Entlassungen und Umstrukturierungen informiert. Die betroffenen Mitarbeiter wurden danach in einen speziellen Raum zitiert, über die Entlassung in Kenntnis gesetzt und mussten nachher unter Aufsicht ihre privaten Utensilien am Arbeitsplatz abholen.
Die Betriebskultur scheint auch auf Managementebene nicht viel anders zu sein. «Ich war völlig überrascht über die Art und Weise, wie der Deal abgelaufen ist. Natürlich haben wir uns aufgrund der bekannten Schwierigkeiten der ausländischen Niederlassungen Gedanken gemacht, wie es mit Adcore weitergeht. Mit einem solchen Schritt haben wir aber nicht gerechnet. Erst am Montag als die Sache gelaufen war, wurden wir in Kenntnis gesetzt», äussert sich Gian-Franco Salvato, Chef von Adcore Schweiz gegenüber IT Reseller.
«Expansion war ein Fehler»
«Die internationale Expansion war ein Fehler. Die Firma hatte nicht die Kapazität, mit den internationalen Geschäften zurechtzukommen und diese zu entwickeln», sagte Adcore VR-Präsident Lars Evander. Adcore rechnet, durch den Verkauf einen Verlust von 1,15 Mrd. Kronen hinnehmen zu müssen. Im ersten Quartal 2001 machten die ausländischen Niederlassungen einen Verlust von 49,8 Mio. Kronen, während die Geschäfte in Scheden einen Gewinn von (immerhin) 17,8 Mio. Kronen einbrachten.
Adcore hatte Mitte 1999 eine agressive Expansionsstrategie begonnen und in Norwegen, Dänemark, Finnland, Grossbritannien, Deutschland, Holland, Frankreich, Belgien und in der Schweiz Webagenturen aufgekauft.
Die 180-Grad-Wende in der Unternehmensstrategie wirft Fragen auf. Bedeutet dies das Ende der internationalen Netzwerke? Ist das nicht-schwedische Adcore-Netz ohne das Stammhaus in Schweden überhaupt funktionsfähig und überlebensfähig? Was bedeutet dies für Mitarbeiter und Kunden der Adcore Schweiz? Bei Adcore in Biel war dazu kein Kommentar erhältlich. Salvato äusserte sich lediglich zum jetzigen Marktumfeld: «Vor einem Jahr war der Markt noch komplett anders, nicht nur in der Schweiz, auch in Europa und USA. Unter den heutigen Marktverhältnissen ist es äusserst schwierig, unprofitable Units plötzlich profitabel zu machen.» (mh)
Kommentar: Unfreundliche Übernahme
Die Adcore-Oberen versuchten in ihrer Verlautbarung den Eindruck zu erwecken, beim Verkauf der ausländischen Niederlassungen hätte es sich um ein Management-Buyout gehandelt. Die Art und Weise, wie der Verkauf abgewickelt wurde, lässt aber eher an eine unfreundliche Übernahme denken. Denn ausser dem Länderchef von Adcore Dänemark wurde niemand vom internationalen Management in die Verhandlungen miteinbezogen. Selbst Gian-Franco Salvato, der seine (profitabel arbeitende) Aseantic Media erst vor gut einem halben Jahr bei Adcore unterstellte, wurde per Telefon über den Verkauf informiert.
Wird Salvato und das Bieler Management dieses Vorgehen goutieren? Muss Salvato hinnehmen, dass über seinen Kopf hinweg über die Zukunft «seiner» Firma, der Mitarbeiter und der Kunden entschieden worden ist? Theoretisch ja, denn seit letzten Oktober ist Salvato bei Adcore angestellt und nicht mehr sein eigener Chef. Dafür hat er aber ein dickes finanzielles Polster im Rücken, denn als einer der wenigen hat Salvato sich den Verkauf seiner Firma zum grossen Teil in bar auszahlen lassen.
Diese Sicherheit und die Tatsache, dass jeder Arbeitsvertrag auch gekündigt werden kann, könnte ihm helfen, sich gegen den Entscheid von oben zur Wehr zu setzten und den Rückkauf «seiner» Adcore zu fordern. Es fragt sich nämlich, ob die Schweizer Geschäfte für die neuen Bosse noch Aussicht auf Erfolg haben, sollten Personal und Management davonlaufen.
Markus Häfliger


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