Home Office, Sales-Gespräche per Video-Calls und erschwerte Ausbildungsverhältnisse – die Veränderungen im Arbeitsalltag, welche die Pandemie mit sich gebracht hat, waren wohl in den meisten Betrieben der Schweizer IT-Szene einschneidend. Spannend sind diese neuen Herausforderungen im Schweizer Channel insbesondere bei den Distributoren, beheimaten diese doch eine grosse Bandbreite verschiedener Rollen unter einem Dach. Ob Sales, Lagerist, Tech-Support oder Lehrling – sie alle haben verschiedene Aufgaben, Ansprüche und Herausforderungen.
Ein Unternehmen, das im Zuge der Pandemie eine bemerkenswerte Wandlung vollzogen hat, ist der Schweizer Technologieanbieter
Also. CCO Tom Brunner lässt im Gespräch mit «Swiss IT Reseller» die Entwicklungen der vergangenen zwei Jahre Revue passieren und zeichnet auf, wie die Arbeitskultur bei Also während der Pandemie aussieht und wohin sie sich entwickeln könnte.
Home Office: Nicht möglich!
«Grundsätzlich wäre Home Office bei uns auch vor der Pandemie schon erlaubt gewesen», erinnert sich Tom Brunner. Genutzt wurde diese Möglichkeit jedoch fast nie – nur einzelne Personen hätten das damals überhaupt jemals in Anspruch genommen. Den Grund verortet er in einer ausgeprägten Disziplin, die seine Mitarbeiterschaft an den Tag gelegt hat und einer unausgesprochenen sozialen Kontrolle innerhalb der Also-Teams. Dabei war eine Entwicklung hin zu einem flexibleren Arbeitsmodell eine wichtige Angelegenheit für Brunner, als er 2018 seine Stelle antrat: «Wenn wir bereit sein wollen für Transformation, aber dermassen starr in Prozessen und Verhaltensstrukturen festsitzen, gibt es nur eines: Wir müssen Home Office richtiggehend fördern, um eine andere Perspektive einnehmen zu können!»
Um eine Ausgangslage zu erhalten, hat man im Sommer 2018 bei
Also eine Matrix aufgebaut und alle Bürojobs in drei Kategorien bezüglich Home-Office-Optionen aufgeteilt: möglich, teilweise möglich und nicht möglich. «Das Resultat war völlig eindeutig», so Brunner. «Es gab faktisch nur eine Kategorie: Nicht möglich! Und das über alle Organisationseinheiten mit unterschiedlichsten Aufgabenbereichen hinweg, beurteilt durch viele Führungskräfte und Mitarbeiter.» Brunner holt tief Luft. «Wir wussten, hier haben wir wohl einen längeren Weg vor uns.»
Den Start dieses Weges machte Also Schweiz weit vor der Pandemie mit dem Austausch des IT-Equipments und ersetzte alle noch aktiven Desktop-Geräte mit Notebooks. Weiter arbeitete man an den Jobbeschreibungen, definierte die Arbeitszeiten noch flexibler, feilte an den Zielbestimmungen für die Angestellten und investierte in die Führungsausbildung. «Wir wollten den Mitarbeitern zeigen: Wir müssen in Bewegung kommen», so Brunner.
«Wenn das Telefon klingelt: Business first. Wenn wir einen Notfall im Haus haben: Family first.» Tom Brunner, CCO, Also (Quelle: zVg)
Und es geht doch
Im Frühjahr 2020 krempelte Covid-19 dann den Lebens- und Arbeitsalltag in weiten Teilen der Welt komplett um. «Seit März 2020 gibt es eine neue, genauso eindeutige Antwort auf die Frage, ob Home Office bei
Also geht oder nicht», so der Also-Chef. Man ahnt es schon: «Es geht!» Auf einen Schlag arbeitete der Grossteil der 218 Angestellten, die normalerweise in den Also-Büros in Emmen sitzen, von Zuhause aus. Im Ergebnis sind damit noch 30 bis 35 Personen pro Tag auf dem Campus, darunter etwa der Empfang, ein Teil des IT-Supports oder die Küchen-Crew, die für die rund 200 Arbeitskräfte aus der Logistik kocht. Für die Mitarbeitenden, die von Zeit zu Zeit anwesend sein müssen, wurden Tages-Slots definiert, an denen sie ins Büro kommen können. Eine Ausnahme bilden die Auszubildenden, «die man nicht einfach sich selbst überlassen kann und für die Begleitung wichtig und wertvoll ist.», so Tom Brunner. Entsprechend sind damit natürlich auch die Lehrlingsbetreuer öfter auf dem Campus anzutreffen.
Brunner betont, dass diese Umstellung aber auch bei Also nicht völlig reibungslos verlaufen ist – Herausforderungen waren etwa die anfangs überlasteten Firewall-Appliances oder die Prozesse in der Telefonie –, im Grossen und Ganzen musste man aber nur sehr wenig Abstriche machen.
Neue Kommunikationswege
Doch nur weil neue Geräte da sind und die Firewalls und Telefone wieder laufen, heisst das noch lange nicht, dass es einfach ist, wenn um die 200 Mitarbeitende einen Grossteil ihrer Arbeitsgewohnheiten einfach fallen lassen müssen.
«An der Tatsache, dass wir – und auch die Regierung – diese Schritte machen mussten, hat niemand die Schuld und wir sind alle davon betroffen. Die Einsicht, dass man das halt so machen musste, weil sonst nichts mehr funktioniert, setzt viel Energie frei», so Tom Brunner. Getragen von dieser Energie fanden die Mitarbeiter ihre neuen Tagesrhythmen und gewöhnten sich an die veränderten Umstände. Brunner geht dabei gezielt auf das Thema Kommunikation und damit automatisch auch auf Microsoft Teams ein. Die Kommunikationsplattform war 2020 bei Also schon seit zwei Jahren im Einsatz, «wir waren aber eigentlich noch in der Spiel- und Lernphase mit Teams», so Brunner. So richtig bereit war man für diese Art der Kommunikation noch nicht, war man sich bei Also doch den direkten Kontakt auf fixen Arbeitsplätzen und während für die Schweiz typischen Büroöffnungszeiten gewohnt.
Für die Neugestaltung der Kommunikationsstruktur investierte Brunner sein Osterwochenende 2020 und stellte die Channels in Teams neu auf. «Ich habe jeder Organisationsstruktur einen Channel eingerichtet. Ein neues Zuhause, damit ich und sie wissen, wo sie erreichbar sind, wo sie ihre Dokumente ablegen und wo sie ihre Vorgesetzten kontaktieren können. Das hat schon extrem viel gebracht», so der CCO.
Ebenfalls eine grosse Herausforderung war dabei sowohl ein persönliches wie auch ein allgemeines Führungsproblem, wie Brunner berichtet: «Ich habe schnell gemerkt, dass sich mein eigener Kalender auf Wochen hinaus verstopfte, weil so viele Meetings einberufen wurden.» Er zog die Reissleine, strich alle 1-zu-1-Meetings, legte sie wenn möglich zusammen und straffte die Meeting-Agenden strikt. «Und siehe da – der Kalender leerte sich, ich hatte wieder die Kapazitäten, richtig zu führen, erreichbar zu sein und dort Steine aus dem Weg zu räumen, wo es wirklich nötig war», wie er ausführt.
Im Frühsommer 2020 hat ihn der Gruppen-CEO im Gespräch schliesslich gefragt, warum sein Kalender leer sei und ob er denn Teams überhaupt nutze, erinnert sich Brunner schmunzelnd. Augenscheinlich tappten die anderen Führungskräfte in dieselbe Hamsterrad-Falle wie Brunner, ihre Kalender waren nach wie vor randvoll. In kurzen internationalen Management-Sitzungen hat man über die kommenden Monate im kleinen Kreis gemeinsam die Vorgaben für den «New Working Style» definiert, wie Brunner sagt. «Nicht mit möglichst viel, sondern eben genau mit möglichst wenig Regeln. Aber genau denen, die die nötigen Freiräume schaffen», wie er anfügt. Die Zauberformel von
Also: strukturieren, priorisieren, fokussieren.
Das Rollout dieses knappen, aber effizienten Regelwerks über die gesamte Also-Gruppe brachte denn auch die erhoffte massgebliche Verbesserung. Für die oberste Führungsebene galt dabei: nichts einfordern, was man selbst nicht lebt. Mit diesen eigenen Erfahrungen trainierten sie ihre Teamleiter und diese ihre Arbeitskräfte weiter. «Wir hatten damit einen Domino-Effekt und haben uns Zeit genommen, den Mitarbeitern auch zu erklären, warum diese Änderungen wichtig sind.»
Machen die ihren Job?
Regeln aufzustellen, die mehr Platz schaffen, ergibt Sinn. Aber wie kontrolliert man, dass ein Mitarbeiter diesen geschaffenen Platz nicht für private Angelegenheiten nutzt? «Mache ich nicht», so Brunner schulterzuckend. «Dann macht der das eben. Wie lange jemand physisch anwesend ist, sagt doch nichts über die Qualität der Arbeit aus. Entscheidend ist, dass er erreichbar und responsiv ist und die Aufgaben, die er hat, zuverlässig erledigt.» Er betont dabei, dass die Mitarbeiter eben unterschiedlich sind und dass in seinen Augen eher denen geholfen werden muss, die dazu tendieren, im Home Office zu viel zu arbeiten und so die Struktur verlieren. Bei
Also hat das Modell insgesamt sehr gut funktioniert, die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache, so der Geschäftsleiter. Dass ein solcher Prozess nicht von heute auf morgen einfach so klappt, liegt aber auf der Hand. Als weiteres Werkzeug hat man ausserdem für fast jeden Aufgabenbereich Dashboards entwickelt, um die Fortschritte und Resultate sicht- und diskutierbar zu machen.
Eine seiner Sorgen betreffend die Mitarbeiter war anfänglich, dass es zu Unmut und Angst in der Logistik kommen könnte, denn die physische Präsenz dieser Mitarbeiter ist nun mal unabdingbar fürs Distributionsgeschäft. Doch Brunner winkt ab – nach wenigen Wochen, in denen er für die Logistik noch regelmässig auf dem Campus war, konnte auch er getrost ins Home Office wechseln, die Logistik hatte sich ebenfalls auf die neuen Bedingungen und die über 100 Schutzmassnahmen eingestellt.
Weiterhin schwierig ist hingegen das Thema Neueinstellungen. «Für mich ist es nach wie vor ein Rätsel, wie man es schafft, dass es sich für einen neuen Mitarbeiter gut anfühlt.» Als Beispiel nennt er seinen neuen E-Commerce Manager, dessen rein digital abgehaltene Neueinstellung er während der Pandemie selbst begleitet hat. «Ich bin mehrere Male nach Emmen gefahren, um mit ihm ein paar Stunden zu verbringen und ihm die Firma und einzelne Mitarbeiter persönlich vorzustellen.» Als weiteres Beispiel nennt er einen neuen Teamleiter: Hier hat man veranlasst, dass sowohl der Neuling wie auch sein Team unter Einhaltung klarer Schutzmassnahmen einige Tage gemeinsam in Büro verbringen. Sein Fazit: «Auf die Frage nach dem Integrationsprozess haben wir bisher noch keine Antwort virtueller Natur. Das muss man dann einfach zulassen.» Er schliesst zwar nicht aus, dass auch die Integration neuer Mitarbeiter im digitalen Raum möglich ist, stellt aber fest, dass sich die Zeit für den Onboarding-Prozess vervielfacht.
Mentale Barrieren
Brunners persönliches Erleben des Home Office ist bezeichnend für die mentalen Anpassungen, die nötig waren: «Wir hatten 2020 einen wunderschönen Frühling. Ich habe
Also meinen Laptop genommen und mich zum Arbeiten auf die Terrasse gesetzt. Dabei habe ich mich oft gefragt, ob ich das wirklich darf, ob das wirklich unter Arbeit geht, was ich hier mache. Das fühlte sich komisch an, ich bin nicht so aufgewachsen.» Aber trotz der Sonne im Gesicht und der Nähe zur Familie wurden die Mails beantwortet, Meetings abgehalten und aktiv gesteuert. «Es hat eine Weile gedauert, bis ich verstanden habe, dass das in Ordnung ist. Wenn das Telefon klingelt: Business first. Wenn wir einen Notfall im Haus haben: Family first.» Heute ist auch er nur noch auf dem Campus, wenn er ein Dokument unterschreiben muss.
Übergreifend ordnet Brunner diese Entwicklungen als durchwegs positiv ein, ergänzt aber, dass man noch nicht beim Idealzustand angekommen ist: «Ich weiss, dass es Leute gibt, die sofort wieder um punkt 8 Uhr auf ihrem angestammten Parkplatz stehen werden, wenn die Situation es erlaubt. Und das sollen sie auch tun können.» Auf der anderen Seite gibt es Mitarbeiter, die sich im Home Office eingelebt haben und nicht mehr zurück wollen. «Uns erwartet hier die ganze Bandbreite», so Brunner, «dem will ich Rechnung tragen können.» Man werde sehen, wie gut das Hybrid-Modell klappt, wenn es so weit ist. Sein Vorsatz ist aber klar: die grösstmögliche Flexibilität zu schaffen. Brunner: «Unser Unternehmenszweck ist es, das Leben der Menschen durch Technologie zu verbessern. Da wäre es doch gelacht, wenn wir das nicht bei uns selbst schaffen würden.»
Das Unternehmen hat drei zentrale Faktoren als grösste Einflüsse auf die Lebensqualität und damit selbstredend auf Zufriedenheit und Leistungsfähigkeit identifiziert: Erstens den Faktor Emotionen – denn wer dort arbeitet, wo er grade am liebsten ist, ist zufriedener. Zweitens ökonomische Faktoren, denn sowohl Arbeitgeber wie auch Mitarbeiter können sparen, etwa durch Einsparung bei Büroflächen und Fahrtwegen oder den Umzug ins kostengünstigere Umland von Ballungsgebieten. Und drittens auch die Ökologie, denn der CO2-Abdruck wird kleiner, wenn weniger Fahrtwege zurückgelegt und Geschäftsreisen unternommen werden müssen. «Drei mächtige Faktoren», so Brunner. «Wir würden einen riesigen Fehler machen, zu alten Mustern zurückzukehren.» Während sich alle darauf freuen, sich wieder sehen zu können, so freut er sich mindestens genauso fest auf die nachhaltigen Veränderungen, die mit diesen Entwicklungen eingeläutet worden sind. «Wir hätten alle nicht für möglich gehalten, was geht, wenn man muss. In Summe muss ich sagen: Wir sind gewachsen. Wirtschaftlich ebenso wie als Team», ist Brunner sicher.
Arbeiten in der Badehose
Eine weitere grosse Neuerung, die an das von Brunner bereits erwähnte Konzept der freien Wahl des Arbeitsortes anknüpft, ist Workation. Die Wortschöpfung aus Work und Vacation,
Also Arbeit und Urlaub, beschreibt die Remote-Arbeit von Orten aus, an denen man eigentlich Ferien machen würde. Seit Mai 2021 bei Also offiziell erlaubt, folgt es im Prinzip einer einzigen einfachen Regel: Man ist selbst verantwortlich, dass die Arbeit reibungslos erledigt werden kann, sonst geht der Ausflug unter unbezahlten Urlaub. «Sämtliche Feedbacks sind hochgradig positiv», resümiert Brunner. «Es lassen sich damit sogar Situationen erleben, für die man sonst keine Ferien hergeben kann. Mitarbeiter haben etwa Zeit mit Onkel und Tante in Spanien oder den Schwiegereltern in Italien verbracht. Workation wird genutzt und geschätzt. Vielleicht gibt es künftig gar konkrete Angebote bei uns – etwa, wenn wir von einem bestimmten Ort wissen, der sich bewährt hat und den Leuten dann ermöglichen, diesen zu nutzen.» Er selbst hat Workation auch schon in Anspruch genommen und ist 2021 mit seiner Familie eine Woche nach Südfrankreich gefahren. Er hat gearbeitet, während seine Familie mit Grossmutter und Urgrossmutter unterwegs war.
Persönlich taugt der neue Arbeitsmix für Tom Brunner selbst hervorragend: «Ich würde das nie wieder hergeben wollen.» Er würde künftig am liebsten durchschnittlich noch einen bis zwei Tage pro Woche in Emmen anzutreffen sein. «Beim Jahresabschluss oder bei der Einführung eines neuen Systems bin ich vielleicht eine Woche lange jeden Tag bis spät nachts dort. In einer anderen Phase braucht es mich nicht dringend vor Ort und ich arbeite drei Wochen von zuhause aus.» Dies wäre seine persönliche Idealvorstellung der Arbeitskultur im New Normal. «Aber», wie er ergänzt, «nicht am Anfang. Ich freue mich einfach wahnsinnig, die ganzen Leute wieder zu sehen!»
Zum Schluss betont Brunner, dass dieser Wandel nicht von ungefähr kommt: «Wir machen das alle zum ersten Mal, es gibt keine Best Practices dafür, man kann sich nichts abschauen – das ist ein Greenfield Approach. Probieren, messen, nachjustieren – steuern ist angesagt!»
(win)