Im Frühjahr 2020 verkündete
Medigate, ein 2017 gegründeter IT-Security-Experte spezialisiert auf den Gesundheitsbereich, dass man mit dem IT-Security-Distributor
Boll Engineering eine strategische Partnerschaft geschlossen hat. Im Rahmen der Partnerschaft wurde für Medigate ein 2-Tier-Vertriebsmodell mit Boll als alleinigem Distributor in der Schweiz aufgebaut. Ende 2021 wurde dann kommuniziert, dass der US-amerikanische IoT- und OT-Spezialist Claroty Medigate übernehmen wird.
Wenn es um den Channel-Einstieg in der Schweiz geht, sind Medigate respektive der mit der Übernahme neu definierte Healthcare-Bereich von Claroty ein spannendes Beispiel: Denn mit der Vorarbeit, die für den Channel-Eintritt von Medigate geleistet wurde, waren für Claroty die nun bestehenden Vertriebskanäle in der Schweiz bereits weitgehend vorhanden. Weiter, so Ismayil Basusta, Channel Sales Director DACH und Osteuropa von Claroty, arbeitet man seit kurzer Zeit mit einem zweiten Distributor zusammen, um den Distributions-Layer weiter auszubauen: dem VAD Westcon.
Strukturiertes Onboarding
«Für ein Start-up wie
Medigate, das von einem klassischen 1-Tier-Modell ausging, ist die Distribution die nächste Evolutionsstufe», so Basusta. Denn beim aufsteigenden Hersteller waren die Ressourcen und Prozesse für ein skalierendes Vertriebsmodell nicht vorhanden, «einen Distributionspartner wie Boll zu finden ist da natürlich eine Beschleunigung, die ihresgleichen sucht», wie er anfügt.
Der Entscheid fiel damals auf Boll aufgrund dessen bestehenden grossen Fussabdrucks in der Schweizer IT-Security-Landschaft. Und noch vor der Übernahme durch Claroty wurde die Distribution von Medigate-Produkten durch Boll auch im DACH-Raum aufgebaut und vorangetrieben.
Der Prozess der Zusammenarbeit startete mit der klassischen Identifikationsphase, in der man passende Partner sucht und mit ihnen ein erstes Onboarding vollzieht. Zentral war hierbei ein stabiler Stand der Reseller im Gesundheitswesen – für einen spezialisierten Hersteller wie
Medigate, der dedizierte Produkte für eine so stark regulierte Branche verkauft, ist dies zentral. Basusta: «Gerade als kleines Unternehmen bekommt man damit eine grosse Erweiterung beim Markt-Approach. Denn ein so spezieller Markt ist nicht für jeden Reseller interessant. Hier braucht es einen sehr dedizierten Fokus, den wir gemeinsam mit Boll auch geschaffen haben.»
Die Partnersuche wurde von Boll und Medigate Hand in Hand vorangetrieben, wie der Channel Sales Director erklärt: «Medigate hatte damals schon Vertriebsmitarbeiter in der DACH-Region, die im Markt entsprechend aktiv waren. Gleichzeitig hat Boll ebenfalls mitgewirkt, das war ein gemeinsames Abstimmen und Vorgehen innerhalb des Marktes.» Die erfolgreiche Entwicklung im Schweizer Channel bezeichnet Basusta als «Leuchtturm», was dazu geführt hat, dass man die Aktivitäten mit überschaubarem Aufwand auf Deutschland und Österreich ausweiten konnte.
Leistungen und Bedingungen
«Nach der ersten Identifikationsphase ging es weiter mit den gezielten Marketing-Aktionen, die in gemeinsamer Absprache umgesetzt wurden», so Basusta. Das reicht vom klassischen Marketing über die Kommunikation bis hin zu spezielleren Massnahmen wie Webcasts für die Partner und potenzielle Endkunden, die vom Distributor im Auftrag des Herstellers umgesetzt werden, wie er ergänzt. Weitere Leistungen des VADs, die man vonseiten
Medigate respektive Claroty bezieht, finden sich in der Akquise, der fortführenden Betreuung der Partner und Kunden, in der Projektentwicklung und bei Proof of Concepts sowie in Schulungen. Als Beispiel beschreibt Basusta etwa gezielte Coachings während der Entwicklungsphase von Projekten. «Das ist tatsächlich ein Mehrwert, mit dem wir die bereits angesprochene Skalierung erzielen können. Mit solchen Massnahmen ist man im Markt relativ zügig bekannt und schafft eine entsprechende Marktdurchdringung», so Basusta. Ebenfalls Teil des Deals zwischen Boll und Medigate respektive Claroty ist die Logistik, die der Distributor für den Hersteller in der Schweiz vollumfänglich übernimmt.
Zur Frage, wie sich dieser enorme Fächer an Leistungen rechnen lässt, die ein Hersteller wie Claroty von einem VAD wie Boll bezieht, will sich Basusta nicht äussern. Es verwundert freilich nicht, dass der Einblick in die Verhandlungen und Bedingungen zwischen Hersteller und Distribution nicht gewährt wird. Ein Hersteller, der den Einstieg in den hiesigen Channel wagen will, wird sich daher zwingend selbst mit möglichen Distributionspartnern an einen Tisch setzen und die Bedingungen der Partnerschaft individuell ausloten müssen – abhängig von den Leistungen, die der Disti anbietet. So viel verrät Basusta jedoch: «Spätestens, wenn sich ein Projekt in Richtung des Abschlusses bewegt, steigt Claroty gemeinsam mit Boll und dem Partner in die Gestaltung des Pricings ein.»
Doppelgleisige Distribution
Derzeit ist man bei Claroty darum bemüht, alle Partner aus den drei Kernbereichen Industrial, Commercial und Healthcare (ehemals Medigate) unter dem Anfang März 2021 lancierten Focus-Partnerprogramm von Claroty zu vereinen. Anders gesagt: Die beiden Channel-Modelle von
Medigate und den anderen Sparten von Claroty werden harmonisiert und zusammengeführt. Die Unterstützung im Partnerprogramm reicht von Schulungen und Zertifizierungen bis hin zu kaufmännischer Unterstützung. Die Nachfrage nach Security-Lösungen für den XIoT-Bereich (Medical IoT, Industrial IoT etc.) sei in jüngster Zeit stark gestiegen, so Basusta und ergänzt: «Erst holen wir diese Partner ab und qualifizieren sie für Industrial, Healthcare oder beides. Im Anschluss ist die enge Zusammenarbeit mit den Partnern entscheidend für den weiteren Entwicklungsschritt.»
Wie anfangs erwähnt, arbeitet Claroty seit Anfang 2022 über das gesamte Portfolio hinweg auch mit Westcon als weiteren Distributor zusammen. Diese Entscheidung ist vor allem der historischen Entwicklung geschuldet, so der Channel Sales Director: «Claroty hatte ohne Medigate die Verträge mit dem global agierenden Distributor Westcon unterzeichnet. Das ermöglicht es uns heute, die Distribution auf beliebige Länder auszuweiten. Der spezielle Fokus von Boll ist derweil historisch gewachsen, in der Security ist man gut verankert und kann die gesamte deutschsprachige Region abdecken.» Diese Zweigleisigkeit ist also vor allem der Geschichte und dem Timing geschuldet, «ist aber gut für Claroty, weil wir so in allen Bereichen gut unterwegs und nach wie vor nicht überdistribuiert sind», wie Basusta ergänzt. «Beide Distributoren haben ihre eigenen Schwerpunkte und Unterstützungsstärken.»
Danach gefragt, ob es beispielsweise bei der Verteilung von Leads im DACH-Raum mit zwei aktiven Distributoren zu Überschneidungen komme, winkt Basusta ab: «Beide Partner sind im Markt aktiv und haben entsprechende Opportunitäten, die sie identifizieren. Um es auf den Punkt zu bringen: Das ist freie Marktwirtschaft und beide Partner sind so gut vernetzt, dass es bislang keine Kollisionen gab.» Er schliesst nicht aus, dass das in Zukunft noch passieren könnte, fügt aber an, dass die Kunden, von denen direkte Anfragen kommen, meist schon einen präferierten Partner hätten und damit in der Regel keine Konflikte entstehen.
Für die Schweiz vorgespurt
Das Beispiel
Medigate respektive Claroty ist ein durchaus spannendes – schliesslich gab es erst einen Channel-Einstieg von Medigate und im Anschluss sozusagen nochmal einen von Claroty. Man konnte die mit Boll erarbeiteten Massnahmen im Prinzip nahtlos auch für Claroty nutzen. «Den eigentlichen Einstieg hat uns in der Schweiz ganz klar Boll ermöglicht. Deshalb ist diese Zusammenarbeit auch enorm wichtig für unsere Entwicklung. Auch weil das Framework, das erarbeitet wurde, später in Deutschland und Österreich implementiert werden konnte», so Basusta.
Der Aussage von Heinekingmedia Group CEO Markus Doetsch (ab S. 32), dass der Schweizer Channel einen hervorragenden Testmarkt als Vorbereitung auf die Internationalisierung bietet, pflichtet Ismayil Basusta bei: «Es ist tatsächlich eine Herausforderung, sich auf dem Schweizer Markt zu etablieren.» Zum einen liege das natürlich an der Mehrsprachigkeit, was die Nische für die Partner nochmal etwas kleiner macht. Zum anderen seien die Datenschutzbestimmungen noch spürbar weniger streng als im EU-Raum, was für den Security-Bereich im Speziellen relevant ist. Und last but not least haben die Schweizer Kunden laut Basusta einen sehr ausgeprägten Sinn für Preis-Leistung: «Der Schweizer Kunde ist bereit, mehr zu zahlen, wenn die Leistung stimmt und die Qualität dem entspricht, was er sich vorstellt. Das macht den Markt an sich sehr interessant und speziell, aber eben auch spannend für den Hersteller, weil wir viele Faktoren berücksichtigen müssen, die wir woanders nicht vorfinden.»
(win)