Alleine mit dem Eisen, das in den letzten zehn Jahren aus dem Recycling von Digital- und Büroaltgeräten zurückgewonnen wurde, könnte man 19 Eiffeltürme bauen. Oder 56 Airbus 380 aus dem wiederverwerteten Aluminium. Die Werthaltigkeit von Digitalgeräten ist besonders gross und umfasst Metalle wie Gold, Silber und Palladium. Deshalb ist ein möglichst lückenloses Recycling sowohl ökologisch als auch ökonomisch sinnvoll. In der Schweiz hat sich diese Einsicht schon lange durchgesetzt, und das Swico-Recycling-System weist eine entsprechend hohe Umweltleistung auf. Rund 95 Prozent der Geräte, die hierzulande auf den Markt gebracht werden, finden Jahre später den Weg zurück ins Recycling.
80 Prozent der CO2-Ersparnisse fällt auf Gold zurück
Dabei fällt die grösste Umweltleistung allerdings nicht auf die riesige Fülle an Industriemetallen wie Eisen, Aluminium oder Kupfer zurück, sondern auf die verhältnismässig überschaubaren Mengen an Gold und Silber: 80 Prozent der CO2-Ersparnisse sind auf die 160 Kilogramm Gold zurückzuführen, die jährlich zurückgewonnen werden, weitere 12 Prozent auf 830 Kilogramm Silber. Weil diese Edelmetalle jedoch nur in kleinsten Mengen in Geräten verbaut sind, ist deren Rückgewinnung besonders anspruchsvoll. Darüber hinaus werden beim Recycling beeindruckende Mengen an Schadstoffen wie Quecksilber und Bleiglas beseitigt. Alleine dank der sorgfältigen Zerlegung von Geräten werden jährlich 263 Tonnen schadstoffhaltige Batterien entnommen.
Das Recycling von Elektro- und Elektronikaltgeräten hat somit einen unmittelbaren positiven Einfluss auf die Umwelt und leistet einen reellen Beitrag zur Dekarbonisierung. Aber nicht nur: Stoffkreisläufe schliessen heisst auch, die vorhandenen Rohstoffe effizient zu nutzen und deren Wertschöpfung zu erweitern. Das Aufkommen an Rohstoffen in urbanen Gebieten ist enorm und kann bei systematischer Zurückgewinnung einen erheblichen Anteil des Bedarfs decken. Dies vermeidet die aufwändige und umweltschädliche Schürfung in Minen und infolgedessen die Abhängigkeit von Importen aus dem Ausland.
Wiederverwendung versus Wiederverwertung
Trotz diesen Errungenschaften dreht sich die öffentliche Debatte um die Kreislaufwirtschaft derzeit hauptsächlich um Re-Use, also um die Wiederverwendung, statt um Wiederverwertung. Worauf ist dies zurückzuführen? Entsteht dadurch ein Wettbewerb um Kreislaufaktivitäten? Konsumentinnen und Konsumenten haben aufgrund ihrer hohen Kaufkraft einen besonders hohen Appetit nach Neuanschaffungen und möchten die Innovationssprünge der Digitalindustrie stets rasch nutzen. So beträgt die durchschnittliche Nutzungsdauer eines Smartphones hierzulande nur gerade drei Jahre. Seine Lebensdauer hingegen beträgt mehr als das Doppelte. Jedes Jahr werden in der Schweiz damit rund 3 Millionen neue Smartphones gekauft. Angesichts des hohen Material- und Energieaufwands bei der Produktion dieser Geräte ist eine Wiederverwendung ökologisch durchaus sinnvoll.
Inland versus Ausland
Es ist aber fraglich, ob die systematische Rückführung von gebrauchten Geräten in ein Re-Use die Nachfrage nach neuen Geräten drosseln würde. Vielmehr liegt die Vermutung nahe, dass günstige Second-Hand-Geräte die Verbreitung neuester Gerätegenerationen in Ländern mit niedrigerer Kaufkraft sowie Schwellenländern beschleunigen wird. Die Nachfrage nach gebrauchten Geräten ist in der Schweiz nämlich äusserst bescheiden. Die Rücknahme und Auffrischung von Gebrauchtgeräten durch die Hersteller ist hauptsächlich für den Export bestimmt. Früher oder später erreichen auch Second-Hand-Geräte ihr Lebensende. Dann stellt sich die Frage nach der Qualität des Recyclings im Zielland. Bestenfalls ist dieses ähnlich ausgestaltet wie in der Schweiz, wo zwei Drittel aller Rohstoffe aus den Geräten zurückgeholt werden.
Ebenfalls ungeklärt sind die Auswirkungen des Exports von hochwertiger Gebrauchtware auf die eingangs erwähnte urbane Mine. Stellt man sich auf den Standpunkt, dass das Urban Mining einen bedeutenden Anteil unseres Rohstoffbedarfs abdecken könnte, so würde der Export von Geräten zwecks Wiederwendung im Ausland ebendiesen Anteil wieder entziehen. Zugegebenermassen ist dies ohnehin der Fall, denn auch beim Recycling in der Schweiz werden die zurückgewonnenen Wertstoffe in der Regel auf den internationalen Markt gebracht. Immerhin sind diese dann mit ziemlicher Sicherheit für weitere Herstellungsprozesse bestimmt. Werden jedoch Produkte – ob gebrauchstüchtig oder nicht – in andere Zielmärkte überführt, so bleibt deren Nutzen im Hinblick auf die urbane Mine zumindest ungewiss.
Die Autorin
Judith Bellaiche ist seit vier Jahren Geschäftsführerin von
Swico, dem Wirtschaftsverband der Digitalindustrie. Seit 2019 ist sie Nationalrätin für den Kanton Zürich und engagiert sich für die Digitalisierung, fortschrittliche Rahmenbedingungen und einen attraktiven Innovationsstandort.