Öffentliche Ausschreibungen werden zunehmend komplexer, dies auch aufgrund neuer Bestimmungen zum Daten- und Informationsschutz (DSG und ISG) und Regeln zur Nachhaltigkeit. Vor allem für kleinere Anbieter erschwert dies die Teilnahme an Ausschreibungen der öffentlichen Hand immer mehr. Manche haben bereits aufgegeben und nehmen überhaupt nicht mehr Teil, wenn der Staat Aufträge vergibt.
Es ist gewissermassen ein Dilemma: Auf der einen Seite sollen die Steuergelder sinnvoll investiert und effizient genutzt werden, ohne Beschaffungsskandale zu fabrizieren. Andererseits müsste Fairness im Wettbewerb rund um öffentliche Ausschreibungen ein zentraler Pfeiler des Systems sein. Thierry Vauthey, Leiter Abteilung Beschaffung, und Daniel Lüchinger, Leiter Einkauf Informatik vom Bundesamt für Bauten und Logistik BBL, zu den Herausforderungen rund um Nachhaltigkeit in Ausschreibungen, die auf allen Seiten zu Kopfzerbrechen führen.
«IT Reseller»: In den Richtlinien zu WTO-Ausschreibungen von staatlicher Seite finden sich eine Reihe Teilnahmebedingungen im Bereich Nachhaltigkeit. Die meisten sind freiwillig und werden unterschiedlich gewichtet – aber es gibt auch obligatorische. Fangen wir bei diesen an, welche sind das?
Daniel Lüchinger: Das sind vom Gesetz vorgeschriebene Anforderungen, beispielsweise die Einhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen, der Arbeitsbedingungen, der Lohngleichheit und des Umweltrechts (Anmerkung der Redaktion: geltende Gesetze zum Umgang mit bspw. Abfall, Chemikalien und Lärm).
Da es sich hierbei um bestehende Gesetze oder gar Menschenrechte handelt, liegt das soweit auf der Hand. Bei den ökologischen Aspekten gibt es folglich wenig bis keine absolut zwingende Richtlinien?
Daniel Lüchinger: Neben dem allgemein geltenden Umweltschutzrecht gibt es diese nicht. Die Vielfalt der Bereiche wie Services, Software, Hardware und mehr macht eine allgemeingültige Regelung schwierig.
Gerade bei den ökologischen Vorgaben geht’s in den Richtlinien dann aber schnell ins Detail. Beispielsweise, wenn es um eine definierte Zahl von Ladezyklen von Akkus geht.
Daniel Lüchinger: Bei einer Ausschreibung orientieren wir uns in der Regel an geltenden Normen und Standards, beispielsweise der USB-C-Regelung der EU oder eben marktüblichen Werten für Ladezyklen von Laptops. Wir verlangen also nichts Unmögliches – die Zuschlagskriterien sind dabei so gestaltet, dass höhere Leistungen oder bessere Angebote mit mehr Punkten belohnt werden.
In der Rolle eines solchen Lieferanten, der an einer Ausschreibung teilnehmen will: Wie behalte ich am besten die Übersicht über diese Nachhaltigkeitsvorgaben? Und an wen wende ich mich, wenn Fragen auftauchen?
Thierry Vauthey: Die Informationen zu den erwähnten Standards sind allgemein bekannt und verfügbar. Bei speziellen Kriterien in der Ausschreibung finden sich alle Informationen in der zugehörigen Dokumentation.
Daniel Lüchinger: Spezifisch bei IT-Dienstleistern kommt hier aber eine Herausforderung hinzu. Denn bei Services geht’s eben nicht um ein Stück Hardware, diese sind schwer zu normen. Aber auch hier entwickeln sich Standards – etwa der Fokus auf Open Source Software, was in gewissem Sinn ja auch die Nachhaltigkeit fördert, oder Standards bezüglich Code-Qualität.
Wie meinen Sie das mit der Code-Qualität?
Daniel Lüchinger: Wir legen zunehmend Wert auf Standards in der Qualität der Code-Entwicklung, um zu gewährleisten, dass dieser auch in einem weiteren System wiederverwendet werden kann. Oder damit man bessere Schnittstellen bauen kann. Auch diese Entwicklung fördert die Nachhaltigkeit.
Wir stecken schon mittendrin – gerade IT-Ausschreibungen werden damit doch immer komplexer, was besonders von kleineren Dienstleistern auch offen kritisiert wird. Ist das bloss ein Gefühl dieser Anbieter oder ist die steigende Komplexität in der Tat ein Fakt?
Thierry Vauthey: Das ist ein Fakt. Mit dem revidierten Beschaffungsgesetz, dem Informationssicherheitsgesetz, dem neuen Datenschutzgesetz, neuen Vorgaben zur Cybersicherheit und so weiter ist die Komplexität innerhalb von vier bis fünf Jahren enorm gestiegen. Und ja, das ist eine enorme Belastung für den Markt. Und Ihre nächste Frage ist dann, ob KMU noch in der Lage sind, das zu beherrschen.
Genau.
Thierry Vauthey: Nein, gewisse KMU sind dazu nicht mehr in der Lage.
Diese Rückmeldungen bekommen Sie so von den Unternehmen?
Thierry Vauthey: Ja, viele KMU nehmen darum nicht mehr an Ausschreibungen teil. Oder es ist ihnen schlicht egal, was in den AGB steht, geben trotzdem ein Angebot ein und nehmen damit ein Risiko in Kauf. Aber ohne eine Legal-Abteilung ist die Teilnahme an IT-Ausschreibungen je länger, je schwieriger.
Daniel Lüchinger: Für viele ist es zunehmend herausfordernd, die vollständigen Verpflichtungen bei der Teilnahme zu verstehen.
Fair ist das damit aber nicht mehr und das muss man wohl auch angehen. Gibt’s da Ideen für Lösungsansätze?
Daniel Lüchinger: Auch wir haben mit diesen neuen Normen, Standards, Gesetzen und Vorgaben viel Arbeit, stehen also gewissermassen vor denselben Herausforderungen. In meinen Augen dürfen die Lieferanten aber erwarten, dass sie immer wieder ähnliche Kriterien antreffen werden. Die Hoffnung ist, dass sich das etabliert und man sich damit künftig auch besser auf Ausschreibungen vorbereiten kann.
Aber da kommen ja auch immer neue Standards dazu, die Entwicklung schreitet schnell voran.
Daniel Lüchinger: Natürlich. Hier machen sich die Lieferanten das Leben ein Stück weit gegenseitig schwer.
Wie meinen Sie das?
Daniel Lüchinger: Jeder möchte besser sein und bietet etwas mehr Nachhaltigkeit als die Konkurrenz. Dadurch entstehen neue Anforderungen und Standards, die den Markt langfristig prägen und weiterentwickeln.
Gerade im Rahmen dieses Wettrennens um die meiste Nachhaltigkeit kommt eine weitere Frage ins Spiel: die nach der Nachvollziehbarkeit. In welcher Form lassen sich Nachhaltigkeitskriterien überhaupt überprüfen?
Daniel Lüchinger: Wir sind erstmal sehr vorsichtig mit Labels und Zertifikaten. Bei den wenigen etablierten Labels können wir nicht mehr machen als zu prüfen, ob ein Lieferant das Label hat. Dinge wie die eingangs erwähnte Prüfung der Code-Qualität geben wir teils an externe Firmen weiter. Aber ja, die Nachvollziehbarkeit ist eine Herausforderung. Je nach Kontext ist das eben ein etabliertes Label, eine Dokumentation oder auch eine gezielte Prüfung.
Thierry Vauthey: Erstens können wir eine solche Prüfung aber erst machen, wenn der Auftrag zu einem gewissen Grad ausgeführt wurde. Und wenn es sich herausstellt, dass er ungenügend umgesetzt wurde, hat man ein Problem, das schnell in der Presse zu einem Skandal werden kann. Unser System ist so konzipiert, dass der Staat, der nicht über ausreichende Ressourcen verfügt, um immer über die besten Spezialisten zu verfügen, dieses Wissen von der Industrie erwirbt. Diese ist besser in der Lage, Fortschritte zu machen und an der Spitze zu bleiben. Aber eben manchmal mit dem Risiko, dass unsere internen Ressourcen Schwierigkeiten haben, die gute Ausführung der erbrachten Leistungen zu beurteilen.
Daniel Lüchinger: Und am Ende müssen sich Aufwand und Ertrag ja auch die Waage halten. Unsere Ressourcen sind letztlich auch nur die Steuergelder der Schweizer Bevölkerung.
Ein schmaler Grat. Nicht nur, aber ganz besonders in der IT-Branche ist die Realität auch, dass Dienstleister Sublieferanten haben und es dann noch mehrere Sublieferanten dieser Sublieferanten gibt, deren Produkte ebenfalls zum Einsatz kommen. Spätestens die Prüfung dieser sprengt den Rahmen dann komplett.
Daniel Lüchinger: Ja, hier müssen wir uns auf den Hersteller verlassen. Das Problem wird hier bis ans Ende der Kette vertraglich weitergegeben. Die Nachhaltigkeit eines Laptops bis ins letzte zu prüfen, ist schlicht unmöglich.
Was wären denn die Strafen für eine Zuwiderhandlung der vertraglichen Nachhaltigkeitsbestimmungen? Und auf wen wird es abgewälzt, wenn ein Sublieferant die Bedingungen nicht erfüllt?
Daniel Lüchinger: Vertraglich sind wir nur mit dem Zuschlagsempfänger verbunden. Die Bedingungen muss dieser auf seine Sublieferanten übertragen und die Einhaltung selbst kontrollieren. Was wir aber immer mehr sehen, ist, dass wir Zuschläge an Bietergemeinschaften vergeben.
Wenn ein Dienstleister also beispielsweise den Zuschlag für eine Software-as-a-Service-Lösung bekommt und das Hosting von einem Cloud-Anbieter bezieht, ist letzterer gegebenenfalls Teil einer solchen Bietergemeinschaft und damit als Zuschlagsempfänger vertraglich an die Nachhaltigkeitsbedingungen gebunden?
Thierry Vauthey: Weil er dann nicht mehr Sublieferant ist, richtig.
Daniel Lüchinger: Die Anzahl der Ausschreibungen, in denen wir solche Gemeinschaften zulassen, ist in den letzten Jahren auch stark angestiegen. Und das hat primär genau mit dieser vertraglichen Bindung zu tun. Das finden übrigens nicht alle Lieferanten gut.
Was ist daran das Problem?
Daniel Lüchinger: Dass man sich innerhalb der Gemeinschaft eventuell nicht findet und es schwer ist, den «Schuldigen» auszumachen, wenn es nicht funktioniert. Dieses Problem hat man mit einem Generalunternehmer weniger.
Thierry Vauthey: Die Herausforderung ist dabei ausserdem, dass man, wenn man diese Bietergemeinschaften zulässt, den Markt gegebenenfalls schliesst und gewisse Dienstleister damit keine Chance mehr haben, teilzunehmen. Wir müssen uns bei jeder Ausschreibung fragen, ob wir mit der Zulassung von Bietergemeinschaften den Markt schliessen oder nicht. Da müssen wir wirklich aufpassen, dass keine unfairen Marktdynamiken entstehen. Die Bietergemeinschaften sind ein gutes Instrument, können den Markt aber auch schnell destabilisieren.
(win)