Grösse alleine bringt keine Sicherheit

Die Business-Softwareszene ist im Umbruch. Welche Folgen hat das für Investition und Investitionssicherheit für KMU?

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2003/13

     

Die laufenden Übernahmeversuche zwischen Oracle, Peoplesoft und J.D. Edwards, oder auch die Übernahme von Winware durch Sage Sesam bewegen den Business Software-Markt. Auch SAP hat sich, nachdem der Versuch eines Alleingangs wenig erfolgreich war, für ihr Lean-ERP-Angebot «Business One» zu einer strategischen Partnerschaft mit Simultan entschlossen.
Baan könnte sich nach der Übernahme durch ein Investorenkonsortium erneut als Stehaufmännchen erweisen, während etablierte Anbieter mit breiter Kundenbasis, wie etwa Brain, in die Insolvenz schlittern und sämtliche amerikanischen Branchengrössen bis heute in der Schweiz nicht wirklich Fuss gefasst haben.

Die Situation ist verwirrend

Die Konsolidierungswelle, die im Bereich Business Software seit dem Ende des E-Business-Hypes rollt, ist noch lange nicht zum Stehen gekommen. Wenn man davon absieht, dass die Bereinigung zu Beginn vor allem die ärgsten Auswüchse beseitigt hat, muss man zur aktuellen Situation festhalten, dass man zwar die Existenz und das Ausmass der Konsolidierung abschätzen kann, Aussagen zur Zukunft und Überlebensfähigkeit einzelner Anbieter gleichen jedoch eher einem Kaffeesatzlesen als einer zuverlässigen Prognose.
Was also soll man tun? Warten, bis sich der Markt konsolidiert hat und mit der alten Software weiter arbeiten? Falls diese gut läuft, man die Programme und Betriebsprozesse im Griff hat, über das notwendige Know-how verfügt und im Tagesgeschäft nicht wegen unpassender Prozessabläufe Geld verliert, wieso nicht? Wenn dies aber nicht der Fall ist, steht man unweigerlich vor der Situation, sich entscheiden zu müssen.

Grösse allein bringt keine Sicherheit

Ein klassischer Entscheidungsreflex, der schon immer verfolgt wird, ist «hin zur Grösse». Ein marktbeherrschender Anbieter verspricht Sicherheit. In der Vergangenheit hat hier vornehmlich SAP als absolut dominierender Branchenprimus profitiert.
Zahlreiche Unternehmen haben sich für SAP entschieden, obwohl SAP deutlich höhere Anforderungen an ein Unternehmen stellt – nicht nur finanzieller sondern auch personeller Art – als die meisten seiner Mitbewerber. Problematisch ist die Situation für KMU v.a. in Bezug auf die jeweilige Projektmanagement-Methodik. Diese ist häufig auf grosse Unternehmen zugeschnitten und für KMU oft viel zu bürokratisch und inflexibel.

Balanceakt

Eines der grossen Killerargumente ist die Frage nach dem Investitionsschutz. Eine Investition in ein Business Software-System mache nur dann Sinn, heisst es, wenn man sich sicher ist, dass der jeweilige Anbieter auch noch während der nächsten fünf bis zehn Jahre am Markt besteht. Die starke Fixierung auf diese Grösse in der Praxis ist beinahe beängstigend, da sie für eine grosse Anzahl von Systemanbietern zum k.o.-Kriterium wird.
Gleichzeitig ist es erstaunlich, wie wenig Unternehmen das Kriterium «Investitionsschutz» mit dem Kriterium «Investitionsvolumen» in Relation setzen. Hier bestehen noch immer sehr grosse Unterschiede und man kann jedem Unternehmen, das gerade eine Evaluation durchführt, nur raten, das Investitionsvolumen auf einen Zeitraum von acht bis zehn Jahren hochzurechnen.
Dabei reicht es in einem ersten Schritt, die im eigentlichen Angebot ausgewiesenen Kosten für Lizenzen und laufende Wartung gegenüberzustellen. Ergänzend sollte man die Personalkosten für den Systembetrieb bestimmen, die man durch das Einholen von Referenzen bei ähnlich gelagerten Unternehmen abschätzen kann.
Untersuchungen der i2s Research zeigen, dass Angebote, die im Bereich der Initialinvestition sich nur um einen Faktor 1.2 unterscheiden, nach acht Jahren bereits bis zu einem Faktor von 2.4 und höher divergieren. Viel Geld, das man durchaus sparen kann – wenn auch unter Umständen mit einem höheren Risiko.

Wenn der Anbieter Konkurs geht

Was passiert, wenn der Systemanbieter nun wirklich Konkurs gehen sollte und keine Fortentwicklung des Systems mehr gewährleistet ist? Hier stellt sich einfach die Frage, ob man die gewählte Software auch selbst weiterentwickeln und unabhängig betreiben kann. Richtig ausgewählt und eingeführt kann eine Software so robust sein, dass man sie über einen langen Zeitraum benutzen kann, ohne allzu viel zu verändern.
Und wenn das System über die richtigen Software-Werkzeuge verfügt, lassen sich Anpassungen an Prozessen, Reports und Formularen auch in Eigenleistung umsetzen. Ein solcher auf Selbständigkeit und Unabhängigkeit abzielender Ansatz verringert die negativen Folgen eines allfälligen Ausfalls des Anbieters und kann unter bestimmten Umständen durchaus eine wirtschaftlich sinnvolle Option sein.

Kapital- und Entwicklungsbedarf

Möchte man die finanzielle Situation eines Anbieters etwas genauer beurteilen, drängt sich die Frage nach dem aktuellen Entwicklungsstand eines Systems auf. Entwicklung ist kostenintensiv und verschlingt auch im Softwarebereich noch immer mehrere Jahre, ohne dass sie unmittelbar zu finanziellen Einkünften führt.
Grundsätzlich sind Systeme, die einen wichtigen Entwicklungsmeilenstein gerade hinter sich gebracht haben eher überlebensfähig, als solche Anbieter, die ihre noch immer nicht abgeschlossene Entwicklung mit den laufenden Lizenzeinnahmen finanzieren müssen.



Der Autor


Dr. Eric Scherer (scherer@i2s-consulting.com) ist Geschäftsführer der i2s Consulting in Zürich. i2s berät Schweizer KMU bei der Evaluation von Business Software. Im Bereich i2s Research untersucht i2s den Markt und seine aktuelle Entwicklung. www.i2s-consulting.com,
www.changebox.info


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