Prozesswissen ist gefragt

Der Trend bei der Beurteilung der Ziele von ERP-Einführungsprojekten zeigt, dass ERP- und Prozessmanagement noch weiter zusammenwachsen.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2005/16

     

Seit Jahren schon predigen Organisationsstrategen die Wichtigkeit der Abstimmung von Geschäftsprozessen und ERP-Systemen. Beinahe genauso lange haben dies einzelne Anbieter aufgegriffen und sich erfolgreich
als Prozess-Profis exponiert. Untersucht man jedoch den Markt, ist
die Mehrheit der am Markt aktiven Anbieter und Implementationspartner noch immer klar informatik- und damit technologieorientiert. Dieses Selbstverständnis erstreckt sich dabei von kleinen Anbietern bis hin
zu grossen Multis. Offensichtlich wird dieser Umstand immer dann, wenn ein Sesselwechsel auf einer wichtigen Position fällig wird: Abgänger und Nachfolger haben mit allergrösster Wahrscheinlichkeit einen IT-Background, ERP-Manager mit einem reinen Prozess-Background, etwa von einem der grossen Organisationsberater, bleiben weiterhin die Seltenheit.

Prozessziele mit zunehmender Bedeutung

Dass ERP- und Prozessmanagement noch weiter zusammenwachsen, zeigt der kontinuierliche Trend bei der Beurteilung der Ziele von ERP-Einführungsprojekten: Business- und prozessorientierte Ziele liegen klar vorne. In 74,9% der Fälle war die Vereinfachung und Beschleunigung der Prozesse das oberste Ziel. Auf den nächsten Plätzen folgen weiterhin Aspekte, die klar auf Prozesse und die Bereitstellung und Nutzung von Informationen hinzielen. Klassische IT-Ziele, etwa die sonst so häufig zitierte Datensicherheit, sind zwar für ERP-Projekte sicher eine wichtige Rahmenbedingung, werden aber nur bei gut 12% der Projekte als Ziele aufgelistet. Im klaren Gegensatz dazu steht der Umstand, dass sich viele ERP-Anbieter noch immer über Technologiethemen verkaufen. Grundsätzlich ist gegen eine moderne Technologie und Architektur nichts einzuwenden. Einzig: wer eine Technologie nicht mit einem klaren Prozessnutzen in Zusammenhang bringen kann, hat letztlich die geforderte Prozesskompetenz nicht erreicht.

Prozesskompetenz ist ein Muss

Prozesskompetenz ist für ERP-Anbieter und Implementierungspartner daher keine Option, sondern ein unabdingliches Muss. Dieser Umstand wird mit dem eher sinkenden Kostenanteil von klassischen IT-Kostenblöcken, namentlich Hardware-Kosten und Lizenzkosten, noch deutlicher: Ohne Mehrwertdienstleistungen kann man heute im ERP-Geschäft kaum mehr überleben, und Mehrwert wird aus Sicht der Kunden auf der Prozessseite generiert. Mit der zunehmenden Integration und Kapselung von mehreren Funktionen in einer – wir erleben bei ERP-Systemen eine ähnliche Entwicklung, wie wir sie auch bei der Automobilentwicklung erleben – wird es immer schwieriger, im Bereich Prozesse mit ERP wirkliche Fortschritte zu erzielen. Gleichzeitig müssen viele ERP-Anbieter endlich erkennen, dass die Prozesskompetenz vieler Anwender deutlich höher ist, als mancher Anbieter glaubt.

Prozesskompetenz muss echt sein

Während der eine oder andere Anbieter noch glaubt, mit einfachen «Pfeilchen-Bildern» vordergründige Prozessorientierung nachweisen zu können, kommen sich viele Anwender vor, als würden Eulen nach Athen getragen. Ein besonders krasses Beispiel ist das Feld des CRM (Contact Relationship Management): CRM ist nach wie vor einer der wenigen Dauerbrenner unter den ERP-Modewörtern. Viele Kunden haben hier einen Nachholbedarf und haben in diesen Bereich investiert; viele Anbieter hat dieser Umstand gefreut und haben nahezu blind implementiert. Die Folge: Obwohl CRM-Projekte schlank sein könnten und einen schnellen Nutzen erlauben, bleiben die effektiven Installationen weit hinter dem möglichen Nutzen zurück. Prozesskompetenz muss echt sein und setzt einen Willen zur nachhaltigen Veränderung auch von kulturellen Aspekten voraus.
(Eric Scherrer)


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