Es gibt Dinge, die, wenn man sie zum ersten Mal hört, kaum einen grösseren Sinn ergeben. Und dann gibt es die Dinge, die man hört und es einem wie Schuppen von den Augen fällt. Genau so ging es mir, als ich den Begriff «Wagenburg der Inkompetenz» zum ersten Male hörte. Und obwohl ich als Kolumnist eine gewisse Narrenfreiheit habe, so möchte ich dennoch darauf hinweisen, dass es sich bei nachfolgendem Text um etwas Fiktives handelt, Ähnlichkeiten mit Unternehmen, Orten und Personen sind also reiner Zufall. Dennoch möchte ich gerne den Beschrieb der diesbezüglichen Dramaturgie wagen:
Kapitel 1: Der Normalzustand – Jede Organisation, egal ob wirtschaftlich oder politisch, ist oder war durchzogen von kompetenten Leistungsträgern und natürlich, wie kann es auch anders sein, von Personen, die Leistung nicht im selben Masse erbringen wollen oder können. Mitunter finden sich da aber auch regelrecht inkompetente Individuen. Also Leute, die nicht nur bremsen, sondern Geschäft vernichten. Das ist leider normal. Im Sinne von Lerneffekten und einem Gleichgewicht funktioniert eine Organisation damit offensichtlich trotzdem.
Kapitel 2: The Rise of Incompetence – Es kommt über die Zeit dazu, dass inkompetente Persönlichkeiten in der Hierarchie aufsteigen. Gründe dafür gibt es viele. Zumeist ist es so, dass eine zeitliche Komponente mitspielt, sie also länger dabeibleiben als andere oder es ihnen gelingt, dem Vorgesetzten ein anderes als das tatsächliche Bild ihrer Leistung zu zeichnen. Und man kann erahnen, dass nun der Weg frei ist, um sich selbst in der eigenen und nun notabene unterstellten Organisation so einzurichten, dass alle anderen einem nicht gefährlich werden können.
Kapitel 3: Der Bau der eigentlichen Wagenburg – Eine Wagenburg der Inkompetenz wird aufgebaut. Sie ist darauf ausgerichtet, einem einerseits einen gemütlichen Unterschlupf zu bieten, andererseits sorgt sie für eine gewisse Verteidigung gegen aussen. Und damit im Inneren Ruhe herrscht und die Verhältnisse klar sind und bleiben, muss jeder, der eine gewisse Kompetenzgefährdung darstellt, raus. Und selbstredend müssen Personen rein, die entweder noch weniger Kompetenz aufweisen oder zumindest niemandem am Stuhlbein sägen möchten.
Kapitel 4: Die Verteidigungsstellung – Nun beginnt die wichtigste Arbeit. Diese Wohlfühl-Fahrnisbaute ist jetzt gegen aussen zu verteidigen. Es beginnt die Phase, in der nicht mehr Personen eingestellt werden, die dem Unternehmen einen Fortschritt ermöglichen. Es wird eingestellt nach vollkommen situativen Grundsätzen. Es beginnt eine Phase, die mit unternehmerischer Vernunft kaum mehr etwas zu tun hat und in der Entscheidungen oft kaum mehr nachvollziehbar sind.
Vielleicht hadere ich auch nur mit dieser «Neuen Welt». Und vielleicht lebte ich in meiner «Alten Welt» auch in einer solchen arroganten Wagenburg. Aber mir gefiel diese Welt, in der man eine gewisse Garantie hatte, dass, wenn man hart arbeitete, vernünftige, weitsichtige Entscheidungen fällte und Mitarbeiter führen und motivieren konnte, man dann auf der Karriereleiter und in der Lohntüte vorankäme. Dies scheint heute aber nicht mehr wirklich der Fall zu sein und andere Werte scheinen an Wichtigkeit zu gewinnen.
Die Softskills von heute: Sozialkompetenz, Kreativität, Veränderungsbereitschaft, Resilienz, Authentizität, Beziehungskompetenz, Teamfähigkeit und Empathie – sie alle sind eine gute Sache. Und klar, vielen von uns haben diese Eigenschaften in der Vergangenheit ein gutes Stück weit gefehlt. Wobei eines aus meiner Sicht klar scheint: Die alten Kompetenzen haben zu erfolgreichen Unternehmen geführt. Egal über welche der beiden Wagenburgen wir sprechen, aus meiner Sicht steht der Beweis, dass die neuen Kompetenzen dieselbe durchschlagende und nachhaltige Wirkung haben werden, noch aus.