Mit der Basler Liebhart Systems verschwindet ein weiterer Shooting-Star der helvetischen New Economy-Szene. Liebhart Systems hat Nachlass-Stundung beantragt und wird alle 80 Mitarbeitenden entlassen müssen. 41 haben bereits den blauen Brief bekommen. Die Gründe für das plötzliche Ende der Firma sind (noch) ziemlich mysteriös.
In der Presseerklärung heisst es: «Liebhart Systems ist von einem Kunden in einem Grossauftrag nicht mehr bezahlt worden und muss deshalb im Umfang dieses Grossprojekts die Belegschaft reduzieren.» Wer dieser Kunde ist und warum er nicht mehr zahlt, wird mit Hinweis auf laufende Verfahren nicht gesagt. 1,4 Mio. Franken soll ein Subcontractor vom Endkunden zurückbehalten und nicht an Liebhart Systems weitergeleitet haben.
Daniel Liebhart, Inhaber von Liebhart Systems zu IT Reseller: «Der entsprechende Vertrag legt eine klare Arbeitsteilung und einen klaren Ablauf der Zahlungen fest. Soweit wir informiert worden sind, hat der Schuldner das Geld vom Endkunden erhalten, es jedoch einbehalten.»
Ereignisse überstürzten sich
Normalerweise werden aber — insbesondere bei grossen Projekten — Vorauszahlungen verlangt oder Projektschritte stufenweise bezahlt. Wieso hat also Liebhart nicht die Arbeiten eingestellt, als keine Zahlungen mehr erfolgt sind? «Im Interesse des Endkunden, dem wir uns in der Qualität verpflichtet gefühlt haben, haben wir vielleicht etwas zu lange gewartet, bis wir die Arbeiten eingestellt haben», erklärt er.
Liebhart hat sich bei einem Umsatz im ersten Halbjahr von 6 Mio. Franken (nach eigenen Angaben mit 60 Vollzeitangestellten) offensichtlich stark auf einen Kunden konzentriert. Es hätte sich aber um mehrere Projekte, die von verschiedenen Teilfirmen des entsprechenden Konzerns realisiert und bezahlt wurden, gehandelt. Allerdings hat man alle mit demselben Partner realisiert, eben mit dem, der jetzt die 1,4 Mio. zurückbehielt.
Entscheidend wird für Daniel Liebhart sein, ob das Gericht dem Antrag auf Nachlassstundung zustimmt. Dann nämlich kann vorerst ein Konkurs abgewendet und das Verfahren gegen den säumigen Schuldner eingeleitet werden. Dies ist insbesondere deshalb von grosser Bedeutung, weil Liebhart tragischerweise erst für den 1.1.2003 die Gründung einer Aktiengesellschaft vorsah. Mit der derzeitigen Rechtsform einer Einzelfirma haftet der Firmengründer persönlich für die entstandenen finanziellen Löcher. Liebhart wird zusätzlich zu den ausstehenden Rechnungen noch auf Schadenersatz klagen. Ob er schlussendlich das Geld erhält, steht allerdings auf einem anderen Blatt.
Aseantic Liebhart gegründet
Etwa 25 ehemalige Mitarbeitende von Liebhart sollen nun in einer neuen Firma angestellt werden. Der Hauptinvestor ist Gian-Franco Salvato (Bild), Gründer des Bieler Webdienstleisters Aseantic. Salvato hält im Moment an der vor zwei Wochen in Basel gegründeten Aseantic Liebhart AG 75%, die weiteren Investoren wollen nicht genannt sein. Es ist aber geplant, das Management und Kader wie bei Aseantic an der Firma zu beteiligen.
Zur Geschäftsleitung gehören der ehemalige Liebhart COO Jay van Berkel und Niggi Widmer als Chief Visionary Officer (Vision und Services). Salvato selbst wird Präsident des Verwaltungsrates von Aseantic Liebhart und in einer ersten Phase auch als Delegierter des VR die nötigen Management Skills in die neue Firma einbringen. Ebenfalls im Verwaltungsrat sitzt Erika Paneth, die auch bei Liebhart Systems tätig war.
Salvato sagte zu IT Reseller, er hätte eigentlich eine Rettung von Liebhart Systems bevorzugt, dies sei aber aufgrund des hohen Debitorenverlustes der Firma nicht möglich gewesen. Die neue Firma wird laut Salvato keine Produkte von Liebhart Systems übernehmen. Der Fortgang der Produktentwicklungen ist zurzeit unklar und hängt wohl vor allem davon ab, welchen Weg Daniel Liebhart mit dem Scherbenhaufen noch vor sich hat.
Des einen Freud...
Salvato betont, dass es sein ausdrücklicher Wunsch sei, Daniel Liebhart eines Tages bei Aseantic Liebhart beschäftigen zu können, wenn mehr Klarheit über die Situation herrscht und das Gröbste über die Bühne ist. «In dieser Sache wurde wohl die Gutgläubigkeit des Managements von Liebhart Systems ausgenützt», sagte Salvato zu IT Reseller. «Die Leute sind absolut begnadete Software-Ingenieure. Wie sonst hätte es die Firma geschafft, in so kurzer Zeit seit der Gründung so viele Projekte zu erhalten?»
Für Salvato ergibt sich mit der Gründung der neuen Firma nicht nur die Möglichkeit, seine auf Front-End spezialisierte Aseantic um einen im Middleware- und Back-End-Bereich tätigen Partner zu ergänzen. Die Gründung der neuen Aseantic Liebhart ermöglicht ihm insbesondere auch einen weiteren Einstieg in die Finanz- und Versicherungsbranche. Glück im Unglück, ist man versucht zu sagen.
Die ersten Erfolge scheinen sich jedenfalls bereits abzuzeichnen. Salvato: «Wir sind daran, Verträge mit Mitarbeitern auszuarbeiten und Kunden von Liebhart eine Möglichkeit zu bieten, mit ihren gewohnten Vertrauenspersonen weiterzuarbeiten. Aufgrund der momentanen Anzeichen rechnen wir damit, vom Start an im ersten Jahr rund 4 bis 6 Millionen Franken umzusetzen.» (mh)