Revolution auf leisen Sohlen

Der grösste Schweizer Distributor Also ABC will vom Prozentrechnen wegkommen. Fernziel ist «transaktionsorientiertes Pricing». Gegenüber Neukunden zeigt man sich kulanter.

Artikel erschienen in IT Reseller 2003/20

   

In mehreren Schritten wird Also ABC das eigene Preismodell verändern. Die Schweizer Nummer 1 der Distribution will von volumen- und margenbasierten Geschäftsmodellen wegkommen und löst damit eine wahre Revolution im Distributionsgeschäft aus. Doch gemach: Die neuen Preismodelle werden stufenweise über mehrere Jahre hinweg eingeführt.

Keiner verdient mehr Geld

Marc Schnyder, der für den Distributionsbereich im Also-Konzern verantwortlich ist, konstatiert drei Trends, die IT-Grosshändler dazu zwingen, sich neu zu erfinden: Höhere Transaktionsvolumina bei sinkenden Preisen und nicht weiter senkbaren Fixkosten, ein beschränktes Wachstum im Kerngeschäft sowie eine unklar definierte Rolle der Distribution in der Wertschöpfungskette.
«Alle haben ein Profitabilitätsproblem», sagt Schnyder. Der Grund sei der rasante Preiszerfall: Während vor einem Jahr ein PC noch für etwa 1250 Franken das Emmener Lager (Bild) verliess, sind es heute nur noch etwa 1000 Franken. Kein Distributor kann in so kurzer Frist die Kosten um 20% senken.
O-Ton Schnyder: «Gewisse Segmente sind in der Schweizer Distribution bei allen Distis seit Jahren defizitär. Jene Produktlinien nämlich, bei denen Preiskämpfe und Überdistribution festzustellen sind.»
Der Preiszerfall lasse sich – angesichts der steigenden Marktanteile von Dell und vermehrter Direktverkäufe der Hersteller – auch nicht durch Wachstum im Massengeschäft kompensieren, analysiert Schnyder.
Zu guter Letzt würden den Distis unklare Rollen zugewiesen. Sollen sie – sozusagen zum Nulltarif für den Hersteller – mit eigenen Salesleuten den Markt bearbeiten, oder sollen sie Kisten schieben? Und was ist der Hersteller bereit, für Marktbearbeitung zu bezahlen?

Elektronisch bestellen oder bezahlen

Ab 1. Januar 2005 erhöht Also den bisher nur sehr sanften Druck zu rationellem Bestellverhalten. Denn ab diesem Datum werden Waren, die nicht über Internet (IVIS) oder eine B2B-Anbindung bestellt werden, ein halbes Prozent mehr kosten. Diese Regelung gilt nicht für Bestellungen, die (noch) nicht elektronisch abgewickelt werden können, wie etwa Special Bids (projektspezifische Preise).
Bereits ab 1.4.2004 wird Also zudem unter gewissen Bedingungen eine Transaktionsgebühr von 15 Franken pro Bestellung verrechnen. Die Bedingungen sind allerdings nicht wirklich restriktiv. Die Transaktionsgebühr gilt für Bestellungen unter einem Wert von 300 Franken. Kommt ein Also-Kunde aber auf einen durchschnittlichen Bestellwert von mehr als 1800 Franken, wird die Gebühr erlassen.
Doch es gibt auch einige Zückerchen. So kann individuell ein verlängertes Zahlungsziel (30 oder 45 Tage statt 14 Tage) abgemacht werden.

Weg mit der Bürokratie – es lebe der Kleinkunde!

«Wir müssen wieder freundlicher und weniger kompliziert für die Kunden werden», fordert Schnyder. Konkret soll es ab 1. Januar viel einfacher werden, Also-Kunde zu werden. Wer zum ersten Mal bestellt, bekommt von Also einen Brief.
Auf einer Geschäftsantwortkarte braucht man nur noch anzukreuzen, welches Zahlungsziel man wünscht und ob man Lieferung innert 24 oder 48 Stunden wünscht (was sich bekanntlich auf die Portokosten auswirkt). Alles andere (Einholen des HR-Auszuges, Kredit-Überprüfung) besorgt Also.
Ausserdem – und hier werden die Emmener wirklich keck – hat jeder Neukunde sofort eine Kreditlinie von 5000 Franken. Damit der Zückerchen für die «Kleinen» nicht genug. Ab sofort erhalten Kleinkunden auf der untersten Rabattstufe ein halbes Prozent mehr, wenn sie über das Internet bestellen. Sie werden ausserdem automatisch in eine bessere Rabattstufe eingeteilt, wenn sie mehr als 20’000 Franken Umsatz erreichen.

«Open Book» und kommende Logistik-Raffinessen

Doch auch den Grosskunden will Also ABC den Umstieg auf rationellere Bestellwege versüssen. In Zukunft will man grossen Resellern gegenüber die Bücher öffnen. Die Also-typischen, akribischen Berechnungen der Profitabilität jedes einzelnen Kunden sollen ihm zugänglich gemacht werden. So könne man dann offen über kostensenkende Massnahmen diskutieren und die erzielten Ertragsverbesserungen brüderlich teilen, sagt Schnyder.

Hersteller müssen für Marketing-Dienste bezahlen

Auch gegenüber den Herstellern pocht Also ABC auf Profitabilität. Sie mussten sich entscheiden, ob ein reiner Logistik-Partner sein soll, oder ob man in Emmen auch Marketing-Dienste verrichten solle. Unterdessen diskutiert Schnyder mit jedem Hersteller einzeln, welche Leistungen Also ABC für ihn erbringen soll und was diese Leistungen kosten. Einen kostenlosen, auf einen Hersteller fokussierten Account Manager wird es ab 1.1.04 nicht mehr geben. Schnyder: «Das ziehen wir durch». (hc)

KOMMENTAR


«Paneuropäer» gegen «Lokalmatadoren»

Im Hintergrund der neuesten Initiative aus Emmen steht die Auseinandersetzung zwischen paneuropäisch aufgestellten Distributoren und lokalen Playern. Sie wird die europäische Distributionslandschaft noch einige Jahre prägen. Getrieben wird die Entwicklung vom verzweifelten Versuch der grossen, Channel-orientierten Hersteller wie Cisco, HP, IBM und Fujitsu Siemens, die Kosten in ihren Lieferketten so weit zu senken, dass sie im Preiskampf mit Dell wenigstens halbwegs bestehen können.
Einer der grossen Kostentreiber bei einem indirekten Verkaufsmodell ist die Distribution. Die Verteilung von PCs, Bildschirmen, Servern etc. auf hunderte von Lägern in ganz Europa will finanziert sein, während Dell diese Kosten entweder nicht hat oder auf Zulieferer und Kunden abwälzen kann. Ergo versuchen die indirekten Hersteller ihre Distributionslandschaft zu konsolidieren – vorzugsweise indem die Anzahl der direkt belieferten Partner reduziert wird, wie es Cisco oder Microsoft vorgemacht haben.
Ein klarer Vorteil für möglichst grosse, multinationale Distributoren. Doch die Sache ist tricky: Die «Paneuropäer» (Ingram, Tech Data und Actebis) decken weder ganz Europa geografisch ab, noch führen sie die ganze Breite des Angebots (Unix, Storage, Konfigurationsdienstleistungen, Engineering).
Die «Lokalmatadoren» wie Also ABC und die anderen Partner der «European Wholesale Group» hingegen decken zwar nur einen lokalen Markt ab, sind dort aber im Angebot breiter aufgestellt, z.T. auch Marktführer und arbeiten meist profitabler.
Vorläufig steht es 1:1 im Match der «Paneuropäer» gegen die «Lokalmatadoren» – doch wir sind noch nicht einmal bei der Halbzeit angelangt. Also ABC schickt zurzeit gleich zwei neue Spieler aufs Feld: einen Verteidiger und einen Stürmer.
Der Verteidiger (transaktionsorientiertes Pricing) soll langfristig die Profitabilität schützen, während der Stürmer (mehr Zuwendung für den Kleinkunden) den Marktanteil ausbauen soll. Wir sind gespannt auf die nächsten Spielzüge der «Paneuropäer».
Christoph Hugenschmidt


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