«Fusionitis» bei den Schweizer ISPs

Die Fusionswelle im Schweizer Internet-Markt scheint ungebrochen. Nur wenige Wochen vor der Internet Expo überstürzen sich die Meldungen von Übernahmen regionaler Schweizer Internet Service Provider durch zahlungskräftige, multinationale Konzerne.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2000/01

     

Laut einer Studie von Webmergers.com sind 1999 in den USA allein in der Internetindustrie Merger im Wert von 47 Milliarden Dollar geschlossen worde. Ein Jahr zuvor waren es «erst» 6,4 Milliarden Dollar. Geldmässig finden 70 Prozent aller Fusionen und Übernahmen in den Staaten in der Internet-Branche statt. Dieses Jahr schlägt allein die Fusion von Time Warner und AOL mit 250 Milliarden Dollar zu Buche (siehe Kasten).
Der britische Telekom-Anbieter Cable & Wireless (CW) — in Grossbritannien Nummer zwei hinter British Telecom — übernahm in Europa acht führende regionale ISPs für eine Gesamtsumme von 500 Millionen Dollar. Und ein Unternehmer aus Sardinien, Renato Soru, will mit seiner Tiscali eine «Via italiana» zum Internet in Europa aufbauen, wie er in einem Interview mit der italienischen Tageszeitung «La Republica» zu verstehen gab.

Agri: Schweizer Bauern werden britisch

In der Schweiz hat CW gleich zweimal zugeschlagen: Agri.ch und die in der Romandie ansässige Petrel Communication geben den Alleingang auf. Die Möglichkeit, durch die Anbindung an CW seinen Kunden internationale Dienste anbieten zu können, sei ausschlaggebend für den Verkauf gewesen, meinte Guido Honegger, Geschäftsführer von Agri.ch, an der kurzfristig einberufenen Medienorientierung. An die ehemalige Informatikabteilung des Schweizerischen Bauernverbandes soll in Zukunft wenigstens der Name noch erinnern - dieser bleibe vorerst bestehen, so Honegger. Über die Übernahmesummen wurde Stillschweigen vereinbart.
Cable und Wireless will sich ein eigenes, ganz Europa umspannendes Netz aufbauen. Neben den beiden Schweizer ISPs gehören mit den heute bekanntgegebenen Übernahmen Business-ISPs in Belgien, Frankreich, Italien, Österreich und Spanien zu CW. An Geld scheint es nicht zu mangeln: weitere 500 Millionen Dollar sollen in das europäisches IP-Netzaufbauprogramm gesteckt werden.

Ein Sarde übernimmt Datacomm

Kaum ein Tag nach dem Bekanntwerden der Übernahmen von Agri und Petrel vermeldet die Basler Datacomm die 80-prozentige Übernahme durch das sardische Telecom-Unternehmen Tiscali. Datacomm-Boss Dino Trovato hält die restlichen 20 Prozent und wird Geschäftsführer der Firma in Basel bleiben. Der Name Datacomm soll bestehen bleiben.
Die bei uns kaum bekannte Tiscali ist einer der italienischen Überflieger der Mailänder Börse. Seit dem Börsengang Ende Oktober 99 hat sich die Aktie von 70 auf fast 400 Euro mehr als verfünffacht. Erst kurz vor Weihnachten hat Tiscali A Telecom in Marseille und Nets, den Betreiber eines paneuropäischen Breitbandnetzes, zugekauft. Für die Datacomm und die beiden Übernahmen in Frankreich blätterte Renato Soru, Gründer und CEO von Tiscali, 160 Millionen Euro hin.
Mittlerweile überstürzen sich die Gerüchte um die Übernahmesumme der Datacomm. Gewisse Medien berichteten, Trovato hätte für die 80 Prozent der Datacomm 100 Millionen Franken kassiert. Wie die Pressesprecherin bei Datacomm dem «IT Reseller» erklärte, war man seit Mitte Oktober mit einem US-amerikanischen ISP in Übernahme-Verhandlungen. Tiscalis Angebot sei überraschend via Warburg Dillon Read, London gekommen. Obwohl auch bei Datacomm Tiscali bis dahin noch unbekannt gewesen sei, haben nun die Italiener den Zuschlag erhalten. Ausschlaggebend sei vor allem der unkompliziertere Kontakt und die Möglichkeit zu raschen Entscheidungen gewesen, da Renato Soru Mehrheitsaktionär von Tiscali ist.

Psinet: Die Amis in der Schweiz

Mit Datacomm gibt der letzte grössere Schweizer Business-Provider seine Unabhängigkeit auf. Durch die Übernahmen von regionalen ISPs verschaffen sich die finanzstarken Grossunternehmen Präsenz bis in die letzetn Winkel der Welt. Ein gutes Beispiel ist der Internet-Gigant Psinet. Die offiziell verkündete Strategie ist denn auch: Kaufen, was das Zeug hält — und zwar in der ganzen Welt. Psinet ist mittlerweile ausserhalb der USA in Südamerika, Europa, Asien und Europa vertreten. Hierzulande hat Marcel Casserini, Boss von Psinet Switzerland, wieder zugeschlagen. Seine erklärte Strategie, Psinet in der Schweiz durch Übernahmen von regionalen ISPs an die Spitze zu bringen, treibt er konsequent voran. Den neusten Erwerb tätigte Casserini letzten Monat im Engadin: Die Compunet Samedan GmbH gab nach vierjähriger Tätigkeit ihre Geschäftstätigkeit auf und rettet sich in die Arme des Multis. Änderungen in der Geschäftsleitung sowie die rasante Entwicklung des Internet hätten, so Psinet, den Engadiner ISP dazu bewogen.
Die Churer Spin, die Bündner Niederlassung von Psinet Switzerland, wird fortan die Kunden von Compunet betreuen. Spin wurde letzten Oktober durch Psinet übernommen. Psinet, erst seit 1998 in der Schweiz von Zürich aus tätig, verfügt ausser der neuesten Filiale in Sargans mittlerweile über Niederlassungen in Luugano, Chur (ehemals Spin), Luzern (ehemals TIC) und Genf (ehemals Internet Prolink). (mh)


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