Projekt «Green» ist gescheitert. Die Mission, welche zum Ziel hatte, die ERP-Systeme der übernommenen Firmen Great Plains, Solomon, Navision (NAV) und Axapta (AX) auf eine gemeinsame technologische Plattform zu stellen, verlor zuletzt zusehends an Priorität und scheint nun endgültig gestorben zu sein. Jedenfalls wurde es von den Microsoft-Oberen am diesjährigen «Microsoft Dynamics EMEA Strategy Briefing» in Kopenhagen bloss einmal kurz angetönt, und auch das nur am Rande, auf Anfrage eines Journalisten. «Es ist nicht gescheitert», bestreitet Klaus Holse Andersen, Vice President der Small-, Midmarket- und Business-Solutions, im Gespräch mit IT Reseller. «Es wurde lediglich verlangsamt.» Dies sei auf Wunsch von Kunden und Partnern geschehen, betont er. «Die Kunden wollten nicht alle Programme neu kaufen und die Partner nicht all ihre selbstentwickelten Applikationen neu programmieren.»
«Punktuelle Annäherung»
Jetzt wurde die Taktik geändert: Mit jeder neuen Programmversion sollen sich die Lösungen einander annähern und mit den jeweils «besten Funktionen aller anderen Produkte» versehen werden. «Die Idee, die Programme in einem einzigen grossen Schritt zu vereinheitlichen, hat für uns nicht mehr gestimmt», erklärt Andersen gegenüber IT Reseller. Deshalb beschränke man sich jetzt auf ein «punktuelles Codesharing.» So soll Partnern die Möglichkeit gegeben werden, sich Schritt für Schritt mitzuentwickeln. Aus diesem Grund werden zunächst hauptsächlich kosmetische Massnahmen ergriffen, indem eine gemeinsame Benutzeroberfläche über die verschiedenen Softwarearchitekturen gestülpt wird. Als Basis kommt dabei die Office-Outlook-Oberfläche zum Einsatz, wodurch die Programme für den Grossteil der Benutzer aufgrund ihrer Erfahrung mit der Microsoft-Office-Suite «intuitiv bedienbar» werden, so Andersen. Klar, dass man bei
Microsoft mit der daraus resultierenden kürzeren Einarbeitungszeit wirbt.
Knackpunkt Benutzeroberfläche
So haben sich die Prioritäten in den Microsoft-Dynamics-Entwicklungslabors geändert: «Der Knackpunkt eines guten ERP-Systems ist das User-Interface», so Andersen. Sein Kollege James Utzschneider fügt an: «Heutige ERP-Anwendungen orientieren sich zu sehr an Arbeitsprozessen und zu wenig an der Rolle, welche ein Mitarbeiter innerhalb des Unternehmens spielt.» Kurz: Benutzerfreundlichkeit und rollenbasierte Modelle sollen bei der Weiterentwicklung der Microsoft-Dynamics-Produkte fortan das Mass aller Dinge sein.
Langfristig sollen die Produkte dermassen vereinfacht werden, dass man zu ihrer Anpassung keine IT-Kenntnisse mehr benötige, so Utzschneider. Ein Tool dazu ist der «Sure Step Business Modeler», ein Werkzeug, bei dem die Rollen der Mitarbeiter definiert und ihre Verknüpfungen untereinander bildlich dargestellt werden können. Bis zur Marktreife geht es allerdings noch eine Weile.
Das Ziel sei es, von allen vier Programmen die besten Funktionen herauszupicken und in die neuen Versionen der Systeme zu implementieren. So sollen sich die Produkte mit jedem Entwicklungsschritt ein wenig annähern und vereinfachen. Dazu werden im Zweijahresrhythmus neue Versionen von Dynamics NAV und AX lanciert. Im ersten Halbjahr 2008 soll demnach die Version 5.1 und gegen Ende 2009 die Version 6.0 von Dynamics NAV erscheinen; gefolgt von Dynamics AX 5.0 Ende 2008 und 6.0 im Jahr 2010.
Was verheimlicht Microsoft?
Gegen Ende des rund dreistündigen Pressegesprächs, bei dem sich praktisch die gesamte Microsoft-Dynamics-Führungsriege die Projektoren-Fernbedienung in die Hand drückte, wurden auch noch ein paar Zahlen präsentiert. So sprach Morgens Elsberg, General Manager
Microsoft Dynamics AX und NAV, in Sachen AX von einem «historischen Wachstum.» Demnach hat Microsoft weltweit bereits über 1500 Partner, mehr als 300 branchenspezifische Lösungen und 7500 Kunden vorzuweisen. Und auch Dynamics NAV habe 2006 das beste Jahr seit seiner Geburt feiern können. «In diesem Bereich haben wir jetzt 57’000 Kunden, 2700 Partner, 1500 Branchenlösungen und mehr als eine Million lizenzierte Nutzer.»
Die Zahlen zeigen aber auch, dass Microsoft im ERP-Geschäft noch zu den kleineren unter den Grossen zählt: So erwirtschafteten die 1600 Mitarbeiter der Sparte 2006 einen Umsatz von 919 Mio. Dollar - 17 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Dabei erwies sich die EMEA-Region als wichtigster Wachstumstreiber: Microsoft Business Solutions legte hier um 50 Prozent zu.
Die Frage, die Microsoft auch am Ende des Tages unbeantwortet liess, drehte sich um die zuvor versprochene und unmittelbar im Vorfeld der Veranstaltung abgesagte Produktankündigung. Mehr als ein kurzes «wir haben entschieden, dass es noch zu früh gewesen wäre», liess sich Andersen nicht entlocken. «Probleme mit dem Produkt gab keine.» Es könnte sich jedoch um ein Produkt für den KMU-Markt handeln: Hier sieht man bei Microsoft das grösste Potential. (mag)