Auf das Jahr des Delfins 2007 folgt das Jahr der Informatik 2008. Während die Vereinten Nationen auf die kritische Situation der vom Aussterben bedrohten Meeressäuger aufmerksam machen wollten, geht es beim vom Branchenverband ICT Switzerland, diversen Hochsschulen und Firmen lancierten Jahr der Informatik ebenfalls um eine vom Aussterben bedrohte Gattung: den Informatiker.
Wählten 2001 noch 782 Mittelschulabsolventen ein Studium im Bereich Informatik an der ETH, waren es fünf Jahre später mit 300 Personen nicht einmal mehr die Hälfte. An allen Schweizer Fachhochschulen zusammen sank ihre Zahl von 1320 im Jahr 2001 auf 975 im Jahr 2006 «Das reicht nicht einmal aus, um die durch Pensionierungen entstehende Lücke zu füllen», so Carl August Zehnder, ehemaliger ETH-Professor und Präsident Beirat ICT Switzerland.
Branche leidet unter Imageproblem
Als Folgen des Fachkräftemangels beschreibt Zehnder die zunehmende Erosion eines volkswirtschaftlich zentralen Infrastrukturbereichs, die Abwanderung von Firmen und beschleunigtes Offshoring. «Irgendwo auf der Welt gibt es die benötigten Fachkräfte», so Zender. «Die Firmen werden dorthin gehen, wo sie sie finden.»
Wie Zehnder anlässlich der Lancierungspressekonferenz ausführte, sei für diese Entwicklung unter anderem das mehrheitlich negative Image der Branche verantwortlich. «Die Informatik wird heute oft als hektisch, undurchsichtig, unverständlich und instabil wahrgenommen.» Ausserdem stellen sich viele Leute Informatiker nach wie vor als Rüebli-Jeans und Adiletten tragene Sonderlinge vor, die das Technorama besuchen, wenn sie mal richtig auf den Putz hauen wollen. Hinzu komme, dass die Informatik heute vor allem mit Problemen wie Spam, Internetkriminalität und mangelndem Datenschutz in Verbindung gebracht wird, klagt auch Karl Hoppler, Chef von PC-Ware-Sytems Schweiz. «Wie wir mit unseren Lösungen dazu beitragen, wichtigen Problemen von Wirtschaft und Gesellschaft zu begegnen, bekommt der normale Anwender kaum mit.»
Frühe Erkenntnis, späte Reaktion
Mit zahlreichen Anlässen wie Workshops, einem Tag der Informatik und Roadshows sowie verschiedenen regionalen Veranstaltungen soll das Bild des Informatikers 2008 wieder ins rechte Licht gerückt werden. Grosses Potential sehen die Branchenvertreter insbesondere bei den Frauen. «Mit lediglich 15 Prozent ist der Frauenanteil noch viel zu gering», ist Carl August Zehnder überzeugt.
«Ich hoffe jedenfalls, dass die Wirkung dieser Bemühungen weit über das Jahr 2008 hinaus anhält», sagt Markus Fischer, Vorstandsmitglied bei ICT Switzerland, gegenüber IT Reseller. Insbesondere bei den Schulen sieht er Nachholbedarf. Heute bestehe der Informatikunterricht vor allem aus Microsoft-Office-Kursen und der Internetnutzung. «Dabei wäre es wichtig, den Schülern aufzuzeigen, in wie vielen Lebens- und Wirtschaftsbereichen die IT eine zentrale Rolle spielt.» Dass das Bewusstsein noch immer nicht ganz vorhanden ist, zeigte sich jedoch auch an der Medienkonferenz: Die Schulbildung sei keine Aufgabe der Wirschaft, so ein anwesender Firmenvertreter auf eine entsprechende Frage von IT Reseller.
Fischer hingegen gesteht Fehler seitens der Verbände und der Unternehmen ein. Man habe das Problem zwar früh erkannt, aber erst spät reagiert. «Die Branche ist noch jung. Während der Boomjahre um die Jahrtausendwende mussten wir uns keine Gedanken über den Nachwuchs machen.»
Mit dem Internet-Hype und der darauf folgenden Krise habe die Informatik viel Kredit verspielt und ihren Ruf als attraktiven Arbeitgeber teilweise eingebüsst. Ein Grund für das späte Handeln sieht Fischer in der Vielzahl kleiner Verbände und Interessengruppen. Zudem sei man in letzter Zeit mit der Integration von I-CH, der Genossenschaft Informatik Berufsbildung Schweiz, in den Dachverband ICT Switzerland beschäftigt gewesen. Die Konsolidierung in der Verbandslandschaft müsse noch weiter fortschreiten, so Fischer. (mag)