Die Botschaft erreichte Microsofts Software-Partner zwei Tage vor Weihnachten: Die Redmonder übernehmen das Software-Unternehmen Great Plains, dessen Stärke bei Business Software für kleine und mittlere Unternehmen liegt. «Mit dieser Akquisition verstärkt Microsoft», hiess es in der Pressemiteilung, «sein Engagement im Markt für kleine und mittlere Unternehmen» – also genau dort, wo ein Grossteil der treuesten Anhänger von Bill Gates Unternehmen tätig ist.
Mit Hilfe der 2000 Great-Plains-Mitarbeiter will
Microsoft, wie CEO Steve Balmer ausführt, Programme entwickeln, mit denen KMUs Geschäftsprozesse wie Vertrieb, E-Commerce, Warenwirtschaft und Personalverwaltung automatisieren können. In der Folge sollen insbesondere auch Lösungen entstehen, die auf Microsofts .NET-Initiative aufbauen. «Die Kombination von Great Plains und Microsoft ermöglicht es uns, noch schneller ein führender Anbieter von vernetzten Business Management Lösungen zu werden», jubelte Doug Burgum, Ex-CEO von Great Plains und nunmehr Abteilungsleiter der entsprechende Division von Microsoft.
Channel-Konflikte am Horizont
Mit so viel Begeisterung wurde die Übernahme nicht überall aufgenommen. Über Jahre hatte
Microsoft beteuert, dass das Unternehmen keinerlei Absichten habe, in das Geschäft mit Business-Applikationen einzusteigen. Das glaubte auch Ralph M. Stucki, Gesamtleiter von Rotron Software. Jetzt stellt er ernüchtert fest: «Wir wundern uns sehr, dass wir mit Microsoft nun einen direkten Mitbewerber im Segment der Businesssoftware bekommen sollen.
Auf eine solche Möglichkeit angesprochen, hatte Steve Balmer noch vor einem Jahr anlässlich eines Management-Meetings im Baur au Lac in Zürich hoch und heilig versichert, dass Microsoft niemals eine solche Strategie einschlagen würde.»
Stefan Vogel, Director Enterprise & Partner Group bei Microsoft Schweiz spricht hingegen von neuen Chancen: «Mit der neuen strategischen Ausrichtung gibt Microsoft dem Markt für Business Software neue Impulse», und verspricht: «Im Software-Servicebereich werden neue Marktpotenziale entstehen und Business-Möglichkeiten geschaffen, an denen jedes Softwarehaus mit einem spezifischen Offering partizipieren kann.»
Das tönt nicht schlecht. Doch sofort nach Bekanntwerden der Übernahme wurde genau dies in Frage gestellt. So vermuteten etwa die Analysten bei Merill Lynch, dass Microsoft wohl seine stagnierenden Umsätze im Desktop-Bereich mit der Annäherung an den schneller wachsenden Enterprise-Software-Markt aufbessern möchte, und stellten fest: «Das ist ein klarer Bruch mit der bisherigen Hände-Weg-Politik gegenüber den Anwendungsentwicklern.
Wenn Microsoft gegenüber seinen Partnern als potentieller Konkurrent auftritt, muss dies zu Konflikten im Channel führen.
Oracle hat das gleiche erlebt, als der Datenbankhersteller begann, eine eigene Anwendungs-Suite zu verkaufen.»
Beunruhigung in der Schweiz
Logisch, dass auch in der Schweiz viele MS-Partner beunruhigt sind. Sie fragen sich, was Microsoft mit den Lösungen von Great Plains, die hierzulande noch nicht sehr verbreitet sind, vorhat. «Die Akquisition muss zuerst genehmigt werden», wiegelt Vogel ab, «danach werden wir uns mit den hiesigen Great Plains-Verantwortlichen zusammensetzen und über die weiteren Schritte diskutieren.»
«Offensichtlich ist es der Schweizer Microsoft Niederlassung auch nicht so ganz wohl bei der Sache», meint Stucki, «Wir haben bei Microsoft nachgefragt, aber nur dünne und allgemeine Antworten erhalten.»
Noch vertrauen die hiesigen Entwickler auf ihre Fähigkeit, ihre Programme besser und individueller betreuen zu können als ein grosses internationales Haus wie
Microsoft. Claudio Hintermann, VR-Vorsitzender von
Abacus Research, führt etwa aus: «Das Problem bei der Internationalisierung von betriebswirtschaftlicher Software liegt bei den länderspezifischen Eigenheiten.
Sie können je nach Land einen wesentlichen Anteil einer Software ausmachen und werden oft unterschätzt. Zudem ändern sich die Anforderungen an die Software laufend, was die Lokalisierung und Individualisierung noch weiter erschwert. Wie schwierig es sein kann, betriebswirtschaftliche Software in einem anderen Land als dem eigenen zum Laufen zu bringen, musste Microsoft letztes Jahr mit ‘Money’ erfahren. Ob da eine weltweite Markteinführung der bedeutend komplexeren Great Plains Software glücken kann, steht für mich noch in den Sternen.»
Individuelle Betreuung als Rettungsanker
Peter Sidler, Marketingleiter bei der St. Galler Winware, weist darauf hin, dass der Trend, die Kunden direkt an die grossen Hersteller zu binden, nicht neu sei und bei der Hardware schon länger existiere: «Auch wenn Software natürlich mehr Kundenbetreuung verlangt, so ist diese Entwicklung mittelfristig doch eine ernstzunehmende Bedrohung für die unabhängigen Softwarehäuser.
Es wird von
Microsoft und seinen Marketingaktivitäten abhängen, wie sich die Sache entwickelt.» Auch er setzt seine Hoffnungen darauf, dass betriebswirtschaftliche Software viele Anpassungen benötigt: «Diese speziellen Applikationen wird Microsoft nicht abdecken können. Wie gross ihr Anteil allerdings sein wird, ist heute schwer abzuschätzen. Jedenfalls wird die Entwicklung nicht so schnell gehen»
In die gleiche Richtung argumentiert auch Stucki für seine Rotron Software: «Wir vertrauen in unsere Stärken und in unsere Marktpräsenz mit dem Produkt europa3000. Wir werden versuchen, in der Zwischenzeit unseren Vorsprung weiter auszubauen und mit perfekten Produkten Marktanteile hinzuzugewinnen.»
Vogel von Microsoft Schweiz beteuert indes: « Wir verstehen die Bedenken von lokalen Anbietern und Entwicklern. Doch der Business Software Bereich ist ein Segment mit grosser Kundentreue, grossen Wachstumschancen und vielen Anbietern. Wir sind weiterhin auf unsere Partner angewiesen und haben nicht vor, von unserer Partner-Strategie abzurücken. Wir werden weiterhin auch Partner unterstützen, die in Konkurrenz zu Great Plains stehen – so wie wir dies beispielsweise mit Certified Partnern machen, die neben SQL Server auch
Oracle Datenbanken unterstützen, Linux-Schulung anbieten,
Novell CNEs beschäftigen etc.»
Dass die Botschaft zwar gehört wird, der Glaube aber oft fehlt, bezeugt jedoch Hintermann: «Unabhängige Softwarehersteller und Partner wie
Abacus Research müssen sich gezwungenermassen fragen, ob wir überhaupt noch eine Funktion in der .NET-Strategie von Microsoft haben.» (fis)