«Technologien werden keine Differenzierung mehr erlauben»

Eric Scherer, Initiator der ERP-Zufriedenheitsstudie und Geschäftsführer von i2S Consulting, spricht über seine Erfahrungen mit ERP-Anbietern. Scherer konstatiert bei ERP-Herstellern ein falsches Technologie-Verständnis. Den Beratern, ob eigenen oder denen der Partner, mangle es an Projektkompetenz.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2006/17

     

IT Reseller: Herr Scherer, die ERP-­Zufriedenheitsstudie wurde nunmehr zum vierten Mal in der Schweiz durchgeführt. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Erfahrungen rund um die Studie?

Eric Scherer (Bild): Die ERP-Zufriedenheitsstudie gibt den Anwendern das Wort. Dieser einfache Umstand macht den besonderen Wert der Studie aus. Im Laufe der vergangenen Jahre haben mehrere tausend Firmen in der Schweiz an der Studie teilgenommen. Jede dieser Firmen investierte eine ganze Menge Arbeit in das Ausfüllen des Fragebogens - im Minimum gut 30 Minuten - und gab so detailliert und fundiert die eigene Erfahrung weiter.
Dieser Aufwand hat im Laufe der Jahre zu einem unermesslichen Datenschatz geführt, mit dem man viele Tendenzen und Entwicklungen aufzeigen kann, die man sonst bestenfalls mit Delphi-Methoden erahnen kann. Für die Anbieter war das am Anfang schwierig zu verstehen. Plötzlich sahen sich manche mit Dingen konfrontiert, die sie bisher im stillen Kämmerchen für sich behalten konnten.

Wie haben Anbieter bisher auf die Studie reagiert?

Bei jeder Studie, in der Namen genannt werden, gibt es Gewinner und Verlierer. In der Regel freuen sich die Gewinner und publizieren ihre gute Wertung. Bei den Verlierern sieht das ganz anders aus. Vor allem aus den Marketing-Bereichen gab es immer lautstarke und mitunter aggressive Dementis. Im besten Fall hat der Anbieter um ein Gespräch nachgesucht, im schlechtesten Fall wurde einfach hinten herum geschossen.
Die Marketingverantwortlichen waren an vielen Stellen überfordert, da sie die Agenda für die Kommunika­tion nicht mehr selbst bestimmen konnten. Die Themen kamen plötzlich aus der Praxis und von den Anwendern.
Der Geschäftsführer eines Anbieters merkte dazu einmal an, die Studie treibe die Anbieter vor sich her. Wichtig ist dabei, dass die Richtung stimmt - nämlich in Richtung Anwender. In diesem Sinne hat die Studie in der ERP-Branche auch zu einer gewissen Professionalisierung, aber auch Normalisierung beigetragen, ein Umstand, den andere Branchen schon längst erreicht haben.

Was können Anbieter aus der Studie lernen?

Leider wird die Studie von seiten Anbieter noch immer zu wenig gelesen. Wie gesagt, die Marketing-Brille dominiert. Dabei ist die Studie die ideale Basis für ein nachhaltiges Business Development. Ein gutes Beispiel ist der Bereich Formulare und Reports. Dieser Aspekt stellt in allen Studien über alle Systeme hinweg das einsame Schlusslicht dar. Vor vier Jahren haben wir von Anbietern zahlreiche Zuschriften erhalten mit der simplen Botschaft, man habe bald moderne Tools - man möge doch bitte abwarten. In der vierten Runde ist die Bewertung noch immer so schlecht wie eh und je.

Woran liegt das?

Viele Anbieter fokussieren noch immer viel zu sehr auf technische Aspekte. Man meint, dass ein modernes Werkzeug zur Formularprogrammierung zu einer höheren Zufriedenheit führt. Eine solche Technikgläubigkeit ist naiv. In Wirklichkeit liegen die Gründe für die schlechte Bewertung im Bereich Formulare und Reports ganz woanders: Einerseits werden die Kosten bis heute von fast niemandem budgetiert. Andererseits fehlt es in aller Regel bei den Anbietern aber auch an einer klaren Methodik in diesem Bereich.

Wie beurteilen Sie die Projektkompetenz von Anbietern im Allgemeinen?

Mittlerweile zeigt so gut wie jeder Anbieter, wenn er auf das Thema Projektkompetenz angesprochen wird, ein Vier- oder Fünfphasenmodell. ­Diese Modelle gleichen sich jedoch alle fast bis ins Detail und sind völlig generisch. Am Ende hängt es einfach immer noch davon ab, wie erfahren die Berater des Anbieters sind.

Es mangelt den Beratern also an ­Kompetenz, weil die Nachfrage nach ERP-Lösungen grösser geworden ist?

Genau so ist es. In den Jahren nach dem Platzen der E-Business-Blase hatten die Anbieter eine grosse Auswahl: eine gewisse Anzahl von erfahrenen Beratern bewegte sich in einem stagnierenden Markt. Mittlerweile boomt der Markt, die Anzahl kompetenter Berater ist jedoch gleichgeblieben. In der Folge wird das Risiko, an unerfahrene Berater zu geraten, immer höher. Leider haben nur ganz wenige Anbieter, etwa SAP, in den letzten Jahren darauf geachtet, eine ganze Leistungsinfrastruktur aufzubauen, etwa im Bereich Schulung, insbesondere Schulung von Beratern. Viele kleinere Anbieter drücken sich vor der Aufgabe, in solche Infrastrukturen zu investieren.

Worin sehen Sie die grossen ­Herausforderungen für Anbieter in der Zukunft?

Die Marktanteile im Bereich Grossunternehmen sind dabei weitgehend fest verteilt - hier ist auch in Zukunft wenig Bewegung zu erwarten. In der Folge drängen alle in die Mitte, weil nur hier neue und auch attraktive Umsätze zu machen sind.
Letztlich liegt in diesem Verdrängungskampf die grosse Herausforderung. Dabei treten alle Marktbeteiligten immer mehr mit gleichen Technologien an. Das beste .NET-basierte ERP-System kommt eben nicht zwangsläufig von Microsoft. Technologien werden in Zukunft keine Differenzierung erlauben. Allein schon hier fehlt es den meisten Anbietern von der Strategie bis zum Marketing an Verständnis.

Was raten Sie denn nun den ­Schweizer und internationalen ERP-Herstellern konkret?

Konkret lautet die Agenda für die globalen Player: werdet lokal, handelt lokal, denkt lokal – und behaltet natürlich alle Stärken, die globale Präsenz und die ganze Entwicklungspower mit sich bringen. Das ist eine wahre Sisyphos-Arbeit, die häufig an den Machtstrukturen grosser Organisa­tionen scheitert.
Für die regionalen Anbieter stellt sich die Aufgabe anders: Sie sollten wachsen, aber mit Bedacht. Vor allem sollen sie keine Seifenblasen produzieren und die Nähe zum Kunden als Teil der Kultur behalten. (Interview mh)


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