Think Digital: Uuuupps - Fachkräftemangel
Quelle: zVg

Think Digital: Uuuupps - Fachkräftemangel

von Joerg Schwenk, unabhängiger Fachhandelsspezialist mit Schwerpunkt Onlinemarketing und Digitalvertrieb

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2024/01

     

Es scheint die Stimmung zu herrschen, dass man alles von überall her beschaffen kann – auch Fachleute. Leider ist dem nicht so. Ein weltweiter Import dieser Skills ist weder gewollt noch möglich. Denn die Besten wollen die anderen auch sehr gerne – und geben sie nicht kampflos her. Viele der Lehrstellen sind und bleiben unbesetzt, und die Zahl der Bewerber nimmt zusehends ab.

Was man heute zu erwarten scheint:


- Man bildet keine Mitarbeitenden mehr aus, sondern erwartet, dass einem die gebratenen Tauben in den Mund fliegen. Schmarotzen auf Kosten der anderen, sozusagen.

- Man ist nicht bereit zu bezahlen, was ehrliche und fachmännische Arbeit wert ist, sondern trachtet stets nach dem Günstigsten.

- Man anerkennt schlicht die soziale Rolle eines Unternehmens nicht mehr an. Me, Myself and I scheinen wichtiger zu sein als alles andere.

Der Bericht «ICT-Fachkräftesituation: Bedarfsprognose 2030» besagt, dass uns rund 40’000 Fachkräfte in der Schweiz fehlen werden. Wollte man den Fachkräftemangel per 2030 lindern, so müsste man es mittlerweile auch an den Lehrstellen sehen können. Es müssten mehr ausgeschrieben oder zumindest mehr besetzt werden können. Aktuelle Zahlen sind schwer zu bekommen, aber 2020/21 hat es jedenfalls bisher nicht danach ausgesehen. Mehr Ausbildungsstellen auszuschreiben oder auch zu besetzen, höhere Löhne zu zahlen oder ältere Arbeitskräfte wieder zu integrieren, wären dabei nur einige der anzustrebenden Lösungen.

Es könnte jedoch gut sein, dass die Betriebe unsere Jugend gar nicht mehr erreichen. Längst zeigt die neue Generation, wie man ein Leben auch gut gestalten kann in dieser digitalisierten Zeit. Dürfen Sie das? Wir Arbeitgeber sind doch gar nicht bereit dafür! Oder, so eine zweite freche Interpretation meinerseits: Unverbindlichkeit und Cherry-Picking machen sich breit. Ersteres fällt mir aber deutlich schwerer zu glauben.

Doch was, wenn die Fachleute nicht existieren oder kaum zu bekommen sind? Warum dann nicht ausbilden? Ja, das ist nicht einfach, aber Meister fallen halt nicht einfach vom Himmel. Da muss man schon etwas tun. Und in drei Wochen sind sie ebenfalls nicht pfannenfertig, sondern erst in drei bis vier Jahren.

Also wäre es doch mal an der Zeit, damit zu beginnen. Das gälte sowohl für Mitarbeitende als auch für Lernende. Und: Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, so muss der Berg halt zu Propheten. Liebe HR-Fachleute, macht euch darauf gefasst, dass ihr euch bald um neues Personal bewerben müsst – und nicht umgekehrt. Und wenn Ihr dann eure Bewerbung schreibt, werdet ihr relativ schnell feststellen, was zu einem attraktiven und modernen Arbeitgeber fehlt. Spätestens nach der 20. Absage wird es euch klar werden.


Ich bin mir auch nicht sicher, ob die aktuellen Entwicklung, sprich Künstliche Intelligenz, die Situation noch zu drehen vermag. Gemeint ist, fehlende Arbeitskräfte durch KI zu ersetzen. Die Geschichte zeigt, dass nach solchen Revolutionen immer mehr Leute im Arbeitsmarkt Anstellung fanden als vorher. Warum sollte das heute anders sein? Nur weil wir nicht die Muskelkraft, sondern die Geisteskraft ersetzen? Oder einfach gesagt: KI dürfte das Fachkräfte-Problem noch weiter verschärfen.

Aber da war ja noch was. Wir hatten angeblich vorher bereits zu wenig Leute… Uuuups. Keine Angst, wir Fachkräfte wissen, was unsere Arbeit wert ist. Arbeitskräfte weltweit werden es erkennen. Also: Es gibt keine Alternative zur Ausbildung. Es wird ausserdem nötig sein, schwächere Arbeitsmarktteilnehmer wieder zu integrieren. Aber dazu muss man halt mit diesen Personen zusammen einen Weg gehen. Und ja, wenn ich Menschen ausbilde, so rennen die gelegentlich nach der Ausbildung weg. Klar. Im Einzelfall ist dies nicht angenehm. Volkswirtschaftlich gesehen aber eher vernachlässigbar.

Joerg Schwenk

Joerg Schwenk verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung im Schweizer Fachhandel und ist spezialisiert aufOnlinemarketing sowie Digitalvertrieb. In seiner Kolumne vermittelt er seine Einschätzungen, Erfahrungen und Ansichten rund um den ICT-Channel und freut sich auf Ihre Kontaktnahme beziehungsweise die Vernetzung auf Linkedin
(www.linkedin.com/in/joerg-schwenk/).


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