Droge Macht macht Manager süchtig

Oft richten Emporkömmlinge mit der ihnen verliehenen Macht grossen Schaden an. Sie erhöhen sich selbst und erniedrigen andere, um ihr Selbstwertgefühl noch weiter zu steigern. Dies geschieht oft zwanghaft, mit suchtartigen Ansätzen. Nur wer mit Macht umgehen kann, sollte Leute führen dürfen.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2007/05

     

Heute war nicht der Tag von Peter Seefelder. Es begann damit, dass er am Morgen feststellte, dass der eigens für ihn reservierte Parkplatz besetzt war. «So eine Frechheit!», schnaubte er. Demonstrativ parkte er mit seinem schwarzen Audi A8 den Falschfahrer zu und kritzelte mit seinem Montblanc-Schreiber auf einen Zettel, den er an die Windschutzscheibe des fehlbaren Lenkers klebte, folgende Nachricht: «Sie Idiot, dieser Platz ist reserviert! Können Sie nicht lesen?» Seefelder stieg in den Fahrstuhl und drückte auf die Nummer 16. Das war die Etage, in der in luxuriös eingerichteten Einzelbüros die Geschäftsleitungsmitglieder residierten. «Gutes Gefühl, ganz oben angekommen zu sein!», dachte er, während ein selbstgefälliges Lächeln über sein Gesicht huschte.
Im Parterre stieg Frau Mörgeli von der PR-Abteilung ein. «Guten Morgen, Herr Seefelder», sagte sie höflich. «Gefällt es Ihnen bei uns?», fragte Seefelder forsch, ohne ihren Gruss zu erwidern. «Schon, wir haben einfach ein bisschen viel zu tun», meinte sie schüchtern. Grunzend gibt Seefelder zurück: «Na, das haben wir doch alle!» Er, der Seefelder, war in der Schweiz allein verantwortlich für 2000 Mitarbeiter. Wenn er nicht mehr da wäre, würde am nächsten Tag der Laden still stehen. Zumindest glaubte er das. Im 3. Stock angekommen, stieg Frau Mörgeli aus, während sie ein «Wünsche einen schönen Tag» Richtung Seefelder flötete. Dieser antwortete nicht, konnte er es sich doch leisten, unhöflich zu sein, schliesslich war er der Chef.
Im 16. Stock angekommen, stellte er erst mal in seinem Einzelbüro die schwarze Ledertasche auf den dunkelbraun lackierten Tisch, liess sich in seinen Chefsessel plumpsen und sinnierte darüber, was für ein wichtiger Mensch er doch sei. Nach einer Viertelstunde wurde er jäh aus seinen Träumen herausgerissen. Es klopfte an der Tür. Seine Assistentin streckte ihm ein handgeschriebenes Couvert entgegen: «Wurde für Sie abgegeben.» Ahnungslos öffnete er den Umschlag und las folgende Zeilen: «Der Idiot sind Sie! Ich bin Ihr neuer Chef aus Deutschland. Nochmals so ein Ausrutscher und Sie sind gefeuert! Dr. Kurt P.» Seefelder versank in seinem braunen Ledersessel. Für einen kurzen Moment fühlte er sich plötzlich wieder ganz einsam und klein, so wie damals als er noch ein Kind war und seine Mitschüler ihn nie an ihre Geburtstagsfeiern einluden. Doch er fasste sich wieder, riss die Tür zum Zimmer der Sekretärin auf und brüllte wie von Sinnen: «Frau Moser, zum Diktat!»

Macht muss nichts Negatives sein

Macht hat heute vielfach einen negativen Beigeschmack, fallen uns doch als erstes Geschichten wie jene von Peter Seefelder ein. Und trotzdem:Macht per Definition ist grundsätzlich nichts Schlechtes. Doch es liegt in der Hand des Mächtigen, wie er damit umgeht. Ist er bereit, Macht sachbezogen einzusetzen? Braucht er die Macht, um diese gemeinschaftsfördernd einzusetzen oder geht es ihm bloss darum, die ihm verliehene Macht für seine eigenen persönlichen Ziele zu missbrauchen? Der Individualpsychologe Dr. Fritz Künkel (1889–1956) prägte in diesem Zusammenhang die Begriffe «ichhafte» und «sachbezogene» Macht.

Eigenverantwortung ist gefragt

Aus der Geschichte wissen wir, dass so mancher, der mit hehren Idealen für eine Sache eingestanden ist, am Schluss selber zum Despoten wurde.
Auch Manager und Vorgesetzte täten darum gut daran, sich mit Menschen zu umgeben, die ihnen offen und ehrlich die Meinung sagen, auch wenn dies manchmal mühsam und unbequem ist. Wer als Vorgesetzter ein Heer von Ja-Sagern und Kopfnickern um sich schart, läuft Gefahr, sich selbst und seine Leistung zu überschätzen und die Realität nicht mehr so zu sehen, wie sie wirklich ist.
Viele Geschäftsführer, die ich persönlich kenne, haben diese Gefahr erkannt und engagieren für teures Geld einen externen Berater oder «Sparring-Partner», mit dem sie über Themen wie Macht oder Machtmissbrauch offen reden und allfällige Persönlichkeitsdefizite gezielt angehen. Wer eine kritische Distanz zu sich und seinem Handeln aufbaut und versucht, ehrlich mit sich selbst zu sein, kann allfällige negative Ausprägungen seines eigenen Verhaltens erkennen und hat die Möglichkeit, sich zu ändern.

Wenn Macht zum Zwang wird

Ein überehrgeiziger Vertriebsmitarbeiter begründete seinen Entscheid, eine Managementposition übernehmen zu wollen, mir gegenüber in vollem Ernst damit, dass der Vertriebsleiter ein grösseres Auto bekomme und Zugang zum hauseigenen Fitnessclub habe. Ein anderer Kandidat machte eine positive Zusage für einen Stellenwechsel davon abhängig, ob der neue Arbeitgeber ihm den Titel «Sales Manager» verleihen würde, obwohl er ausser sich selbst niemanden zu führen brauchte. «Das liest sich besser bei meinen Kunden», war die Ausrede für seine Titel- und Prestigegeilheit. Es sind diese kleinen Zeichen der Macht, mit denen wir uns von den anderen abzuheben versuchen.
Der Psychologe Alfred Adler (1870 bis 1937) erkannte schon vor 80 Jahren, dass sich Macht besonders zur Kompensation bzw. Überkompensation von Minderwertigkeitsgefühlen eignet. Dr. Volker Kessler geht in seinem Buch «Die Machtfalle» sogar noch weiter und schreibt dort wörtlich: «Sie zielen dar­auf, sich selbst zu erhöhen, indem sie andere erniedrigen, sei es auf ­intellektuellem, moralischem oder praktischem Gebiet, also durch Zwang. Machtmenschen sind zwanghaft. Es ist ein Suchtverhalten.» Wer den negativen Ausprägungen der Macht nicht widerstehen kann, kann viel Schaden anrichten und hat meines Erachtens in einer Führungsfunktion nichts verloren.

Der Autor

Markus Schefer (40) ist selbständiger ­Personalberater und verfügt über langjährige Vertriebserfahrung im In- und Ausland. Daneben ist der ausgebildete Primarlehrer Dozent für das Fach «Verkauf» an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Basel sowie Kolumnist im IT Reseller für Vertriebs- und Managementthemen.


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