Selbstbetrügern nicht auf den Leim gehen

Man merkt meistens zu spät, mit wem man es zu tun hat: Verkäufer, die sich selbst betrügen. Sie externalisieren mit grossem Erfolg eigene Misserfolge und täuschen damit nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Arbeitgeber. Doch wie erkennt man eine lahme Ente, bevor man sie einstellt?

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2008/09

     

Es fehlt ihnen an Einfühlungsvermögen und Führungserfahrung, und trotzdem träumen sie von der grossen Managerkarriere. Sie halten sich für unersetzbar, obwohl jeder in der Firma weiss, dass man sie nächstens entlassen wird. Menschen mit solchen Verhaltensmustern haben ein wesentliches Charaktermerkmal, das sie verbindet: Sie belügen sich selbst. Das Phänomen des Selbstbetruges ist so alt wie die Menschheit. Schon in der Antike bemerkte der Redner Demosthenes (384 v. Chr. bis 322 v. Chr.): «Nichts ist leichter als Selbstbetrug, denn was ein Mensch wahrhaben möchte, hält er auch für wahr.»


Im Gegensatz zum Selbstbetrug ist man sich bei der Heuchelei und der Lüge mehr oder weniger bewusst, was man tut und weshalb man sich so verhält. Doch ganz anders beim Selbstbetrug: Hier weiss man selbst nicht, dass man sich gerade anlügt. Mehr noch: Man glaubt fest an die eigene Geschichte und ist überzeugt, mit der eigenen Wahrnehmung richtig zu liegen. So schaffen es viele Selbstbetrüger während eines Gespräches nicht nur sich, sondern auch die anderen zu täuschen. Und aus eben diesem Grund sind Kandidaten, die während des Rekrutierungsprozesses ein solches Verhalten an den Tag legen, eine echte Gefahr. Ihre Rolle haben sie über die Jahre einstudiert und perfektioniert. Auch auf unbequeme Fragen haben sie die aus ihrer subjektiven Sicht passende Antwort parat, die sie poten­tiel­len Vorgesetzten in Interviews glaubhaft verklickern können. Es ist darum nicht erstaunlich, dass es solche Kandidaten immer wieder schaffen, selbst gestandene Personal- und Linienverantwortliche zu täuschen. Wie kann man als Sales Manager einen Verkaufsmitarbeiter erkennen, der sich selber belügt, und welche Aspekte eines Lebenslaufes sind besonders anfällig für selbstbetrügerisches Verhalten?

Ewige Job-Hopper

Es gibt immer wieder Verkäufer, die es kaum länger als ein Jahr beim gleichen Arbeitgeber aushalten. Durchaus überzeugend schaffen sie es, die Gründe ihres Weggangs in einem Interview zu erklären. Ein schlechter Chef, ein nicht marktreifes Produkt. So ihre Argumentation. Es ist durchaus legitim, ein Arbeitsverhältnis, das nicht den Erwartungen entspricht, wieder aufzulösen. Doch wenn dies zur Regel wird, dann liegen die Ursachen meist in der Persönlichkeit des Arbeitnehmers. Grundsätzliche Probleme mit Autoritäten, ein grosses Bedürfnis nach Freiheit und Unabhängigkeit sowie eine tiefe Frustrationsgrenze sind wichtige Gründe, warum Job-Hopper ihre Stelle so häufig wechseln. Den Betroffenen selbst ist das allerdings so nicht bewusst.


Bei Kandidaten mit einer hohen Stellenfluktuation führe ich deshalb sogenannte «Power-Interviews». Ich möchte erfahren, wie solche Mitarbeiter reagieren, wenn sie sich in die Ecke gedrängt oder ungerecht behandelt fühlen, und führe dementsprechend auch ein ziemlich direktes und ruppiges Interview. Vielfach brechen die Kandidaten während einem solchen Interview völlig ein. Die einen beginnen zu schweigen und zu schmollen. Andere werden aggressiv. Solche Verhaltensweisen sind zwar unangenehm, doch ist dies immer noch besser als eine Fehlplatzierung.
Wer so jemand dennoch einstellen möchte, sollte sich bewusst sein, dass man als Vorgesetzter besonders gefordert ist. Das heisst: Man muss den Puls eines solchen Angestellten immer wieder erfühlen. Nur so kann man Missverständnisse im Keim ersticken und negative Gefühle frühzeitig aus dem Weg räumen. Tut man dies nicht, so dürfte es eine Frage der Zeit sein, bis der Mitarbeiter einem eines Tages die Rechnung präsentiert und das Unternehmen aus heiterem Himmel wieder verlässt. Denn er hat ja nicht gelernt, sich den Problemen zu stellen. Er ist es gewohnt, vor ihnen davonzulaufen.

Verkäufer, die keine sind

Es gibt sie häufiger als vermutet: Personen in Verkaufspositionen, auf welche die Job-Bezeichnung «Verkäufer» nicht zutrifft. Ihr Rollenverständnis definieren sie in Gesprächen dann jeweils auch gleich selbst: Sie sehen sich in erster Linie als Relationship-Manager. Das Wort Verkäufer nehmen sie nur sehr ungern in den Mund, hat es für sie doch fast etwas Anrüchiges. Sie jammern einem die Ohren voll, wie schlecht alles in der IT-Branche in den letzten Jahren geworden sei. Sich selbst sehen sie gerne in der Rolle des korrekt handelnden Gutmenschen, der nur deshalb nicht so erfolgreich ist wie die anderen, weil er sich im Gegensatz zu seinen Kollegen an ethische Prinzipien und Grundsätze hält.

Was sie selber nicht wahrhaben wollen, weil sie sich dessen in den wenigsten Fällen bewusst sind: Es ist ihr eigenes Verhalten, das dazu führt, dass sie nichts verkaufen. Es ist ihre eigene Angst vor vertriebsorientierten Tätigkeiten, die sie gegen alles rebellieren lässt, was auch nur im Entferntesten nach Verkauf riecht. Lieber sitzen sie im Büro und lernen den Geschäftsbericht ihrer Kunden auswendig, als dass sie zur Abwechslung mal das Telefon in die Hand nehmen würden, um die Entscheider anzurufen.


Bei solchen Vertrieblern gilt: Sich keinesfalls von vermeintlich langjährigen Verkaufserfahrungen blenden lassen und sich darüber im Klaren sein, dass selbst ein Arbeitgeber mit wohlklingendem Namen kein Garant dafür ist, eine Verkaufsrakete vor sich zu haben. Gerade in Grossunternehmen dauert es nämlich oft erschreckend lange, bis solche Antiverkäufer enttarnt und dann im Zuge einer Umstrukturierung mit zu den Ersten gehören, die entlassen werden. Bei solchen Kandidaten gibt es nur eine richtige Vorgehensweise, nämlich: Einen grossen Bogen um sie herum machen.
Mit komplexen Assessments wird nebst persönlichen Gesprächen im modernen Rekrutierungsprozess versucht, Selbstbetrügern auf die Schliche zu kommen. Ob das, was jemand im Interview sagt, der Realität entspricht, lässt sich aber erst nach Stellenantritt des Kandidaten feststellen. Erst dann weiss man, ob die eigene Einschätzung über den Kandidaten richtig war oder ob man einem Meister der Selbsttäuschung auf den Leim gegangen ist.

Selbstbetrug im Rekrutierungsprozess - kurz zusammengefasst

- Einen Selbstbetrüger zu enttarnen, ist schwierig. Im Gegensatz zum Heuchler oder Lügner glauben sie selbst an ihre Geschichten und können so durch ihre Überzeugungskraft sogar erfahrene Personalverantwortliche täuschen.

- Job-Hopper genau unter die Lupe zu nehmen, selbst wenn sie ihre häufigen Stellenwechsel plausibel erklären können.

- Wer jemanden einstellt, der viele Wechsel hinter sich hat, muss sich bewusst sein, dass man öfters als bei anderen den Puls fühlen muss, um frühzeitig intervenieren zu können. Ansons­ten spürt man nicht, wenn es beim Angestellten längst brodelt und man mit einer Kündigung abgestraft wird.

- Namhafte Arbeitgeber oder eine auf dem Papier langjährige Verkaufserfahrung sind kein Garant für wirkliche Qualitäten. Verkäufer, die nicht verkaufen wollen oder können, darf man keinesfalls einstellen - egal wie plausibel ihre Argumente auch tönen mögen oder wie dringend eine Stelle besetzt werden muss.

Das nächste Mal

Gerade bei Verkaufsmitarbeitern kann eine Fehlbesetzung negative Konsequenzen haben. Auf was soll man im Interview mit einem Vertriebsmitarbeiter achten, um die Spreu vom Weizen zu trennen?

Der Autor

Markus Schefer (40) ist selbständiger Personalberater. Daneben ist der ausgebildete Primarlehrer Dozent für das Fach «Verkauf» an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Basel. Er verfügt über langjährige Vertriebserfahrung im In- und Ausland, unter anderem bei IBM und Reuters.
www.scheferpersonal.ch
markus@scheferpersonal.ch


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