Entwicklung und Stillstand bei ERP

Die fünfte ERP-Zufriedenheitsstudie hat unterschiedliche Resultate zu Tage gebracht. Während Schulung, Zeitplan, Aufwand und Branchenkompetenz verbessert wurden, hapert es ziemlich bei Performance und Ergonomie.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2008/16

     

Nun liegen sie vor: die Ergebnisse der diesjährigen Studie «Anwender-Zufriedenheit ERP/Business Software Schweiz 2008». In der fünften Durchführung haben an der Studie 927 Schweizer Unternehmen teilgenommen, und 29 Systeme konnten bewertet werden. Gesamthaft wurden im Rahmen der diesjährigen Durchführung über 3500 Unternehmen in der Schweiz, Deutschland, Österreich und im deutschsprachigen Südtirol befragt. Eine stattliche Anzahl und eine klare Ansage: die ERP-Zufriedenheitsstudie - kurz ERP-Z genannt - ist aus dem ERP-Markt nicht mehr wegzudenken. IT Reseller war von Anfang an als Partner und Motivator dabei und damit stellt sich klar die Frage, ob dieses Engagement etwas gebracht hat. Dazu ist es einmal sinnvoll, die Entwicklung zwischen 2003 und 2008 zu vergleichen.

Anlässlich der ersten Durchführung der Studie im Jahr 2003 konnten 26 Systeme bewertet werden. Vergleicht man diese, muss man feststellen, dass gerade 14 sowohl 2003 wie auch 2008 dabei waren. Diese bilden quasi den «harten Kern» der Schweizer ERP-Szene im Mittelstand. Analysiert man den Faktor «Zufriedenheit mit dem System», kann man insgesamt eine hohe Konstanz feststellen. Die Veränderung des Mittelwertes über alle 14 Systeme ist mit 0.06 verschwindend gering. Auf Ebene System zeigen sich aber dennoch deutlich Unterschiede.


Der grosse Verlierer ist dabei wohl Pro Alpha, das in den kritischen Augen der Anwender mit 0.74 doch sehr viel Substanz verloren hat. Vergleicht man Pro Alpha mit seinen direkten Mitbewerbern im gehobenen KMU-Segment, stellt man jedoch fest: während die Mehrheit der Mitbewerber, etwa SAP, Lawson und Microsoft mit AX bzw. Axapta teilweise wahre Innovationsfeuerwerke abgebrannt haben, ist bei Pro Alpha eher Stillstand zu beobachten. Das System kommt noch heute im selben Kleid daher wie vor fünf Jahren. Für die beiden Systeme, die in den letzten fünf Jahren am meis­ten gewonnen haben, gilt dasselbe: sowohl Polynorm i/2 als auch Microsoft Dynamics AX haben sich erheblich weiterentwickelt. Interessant ist dabei, dass sowohl ein kleiner Schweizer Nischenplayer als auch ein internationaler Topmulti gezeigt haben, dass Innovation möglich ist und sich auch in eine höhere Kundenzufriedenheit umsetzen lässt.

Viele Probleme angepackt - aber nicht alle

Interessanter wie der Blick auf die Anbieterlandschaft ist der Blick auf die einzelnen Zufriedenheitsaspekte im Projekt. Im ersten Jahr wurden 22 Zufriedenheitsaspekte abgefragt. Diese wurden mittlerweile auf 29 Aspekte erweitert. Ein Vergleich der ursprünglichen 22 mit den aktuellen Werten ist jedoch gestattet. Hier zeigt sich, dass die Anbieter doch einige Hausaufgaben angepackt haben. An vorderster Stelle ist dabei das Thema «Eigenentwicklungsanteil» zu nennen. Dieser hat sich deutlich reduziert. Gründe hierfür sind sicher der deutlich gewachsene Funktionsumfang vieler Sys­teme, aber auch das deutlich gestiegene Problembewusstsein. Dies bedeutet natürlich nicht, dass es noch immer schwarze Schafe gibt, die anstatt sich über Lösungsmöglichkeiten im Standard Gedanken zu machen, einfach drauflos programmieren.


Verbesserungen sieht man auch bei den Aspekten «Schulung», «Zeitplan», «Personalaufwand» und «Branchenkompetenz». Gerade bezüglich Zeitplan und Personalaufwand kann man feststellen, dass heute deutlich differenzierter an diese Themen herangegangen wird. Verbale Breitseiten über «100% Projektmitarbeitende» oder irrwitzige Zeitpläne gehören immer mehr der Vergangenheit an. Mit dem Faktor «Branchenkompetenz» zeigt sich letztlich, dass einer der Trends der letzten Jahre «hin zur Branche» Früchte trägt.

Schwächen in Sachen Performance und Ergonomie

Umso ärgerlicher ist das Schlusslicht der Liste. Mit dem Thema «Performance» zeigt sich ein Aspekt mit deutlich negativen Veränderungen, der eigentlich nicht ganz einsichtig ist: Schliesslich ist die Hardware auch in den letzten Jahren schneller und vor allem günstiger geworden. In der Software-Entwicklung spielt Performance-Effizienz aber scheinbar noch immer eine untergeordnete Rolle, und manchmal möchte man meinen, dass so manches System unter all den ­vielen kosmetischen Oberflächenschichten fast schon in die Knie geht.


Damit wird das Augenmerk auf ein anderes Problem gelenkt: die Ergonomie. Dieser Punkt ist nicht ganz einsichtig, schliesslich haben so viele Anbieter in tolle Oberflächen in Richtung Webbrowser viel Geld investiert. Hier scheint anscheinend durch, dass die Oberfläche allein nicht wirklich zu einer ergonomischen Bedienung führt. Mit dem eigentlich erwünschten Funktionszuwachs ist in den letzten Jahren auch eine Explosion der Feld- und Maskenanzahl einhergegangen. Da wird es für den Endanwender immer schwieriger, sich zu orientieren. Moderne Tricks, wie Workflow, Links oder Kontexthilfe täuschen dabei über den Umstand hinweg, dass es einfach ätzend ist, sich für Informationen, die man früher auf einer Maske gefunden hat, nun durch einen Dschungel verschiedenster Masken klicken zu müssen. Das macht keinen Spass. Dabei zeigt sich klar, dass die ERP-Branche im Bereich Oberfläche und Ergonomie eigentlich kein echtes Konzept hat. Das Internet und das explorative Arbeiten im Webbrowser kann für ERP-Applikationen kein Vorbild sein.

Lokale Player können sich halten

Eine interessante Frage ist die nach der Positionierung der Schweizer Software-Anbieter. Noch immer sind gut die Hälfte der bewerteten Systeme von Anbietern aus der Schweiz. Analysiert man die Situation weiter, tummeln sich die Schweizer Anbieter klar im unteren Segment. Diese Marktaufteilung hat auf der einen Seite sicher eine gewisse Logik, ist auf der anderen Seite aber auch das Ergebnis eines Scheiterns: kein Schweizer ERP-Anbieter hat es geschafft, international Fuss zu fassen. Und dies liegt sicher nicht an der Qualität der Schweizer Software, sondern eher an einem Mangel an unternehmerischem Mut. Die heute weltweit marktführenden Systeme kommen aus Deutschland, Dänemark, den Niederlanden, Schweden und den USA - die Schweiz ist nicht dabei. Der Zug, hier Fuss zu fassen, ist klar abgefahren. Damit kann man die Gefahr, dass viele Schweizer Anbieter auch im Heimatmarkt zunehmend an Bedeutung verlieren werden, nicht mehr wegdiskutieren. Die Gründe sind einfach und klar: immer mehr KMU stellen sich international auf. Hierfür braucht es Systeme, die über Sprachversionen, rechtliche Lokalisierung und Support vor Ort verfügen. All dies können die Schweizer Anbieter nur in den seltensten Fällen bieten.


Die ERP-Zufriedenheitsstudie wird seit 2003 regelmässig durchgeführt. Mehr Informationen zur Studie und die Möglichkeit, den Bericht zu bestellen, finden Sie unter www.erp-z.info. (Eric Scherer)


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