E-Health in knapp zwei Jahren

Während in der Schweiz seit fast einem Jahrzehnt über elektronische Krankenakten diskutiert wird, macht man in Indien Nägel mit Köpfen. Eine Kooperation zwischen Staat und Privatorganisationen glänzt mit Effizienz.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2008/18

     

Das Schweizer Gesundheitssystem ist nicht eben für seine Effizienz bekannt. Rund 50 Milliarden Franken werden hierzulande pro Jahr für die Gesundheit ausgegeben und die Kosten steigen fortlaufend an. Mit immer neuen Massnahmen wird versucht, die Kosten in den Griff zu bekommen, wobei beispielsweise tranzparenzschaffende elektronische Krankenakten seit Jahren im Gespräch sind, ohne dass es wirklich vorangeht.
In Indien liegen die Probleme anderswo: Geld ist knapp und insbesondere in ländlichen Gebieten leben die Menschen von der Hand in den Mund. Obwohl sich die Zahlen kaum vergleichen lassen, geben sie doch einen Hinweis: Der indische Bundesstaat Andhra Pradesh mit 80 Millionen Einwohnern verfügt über ein Gesundheitsbudget von rund einer Milliarde Dollar. Mit einer solch schmalen Brieftasche kommt man um Effizienz nicht herum, will man sämtlichen Einwohnern eine medizinische Grundversorgung zukommen lassen. Die vom Gründer des indischen IT-Dienstleisters Satyam unterstützte Non-Profit-Organisation Health Management & Research Institute (HMRI) versucht es mit ausgeklügelter IT-Technologie.

Zu teuer, zu weit weg

Vom Bundesstaat erhält HMRI rund 100 Millionen Dollar pro Jahr, das Management und die IT-Infrastruktur wird von der Satyam Foundation übernommen. Damit wird auch das Problem der in indischen Amtsstuben grassierenden Korruption umgangen. «Wir setzen die Mittel viel effizienter ein, als dies der Bundesstaat tun könnte», gibt sich Venu Madhav Chennupati, Head Alliances & Partnerships bei HMRI im Gespräch mit IT Reseller überzeugt. Tatsächlich soll das im August 2007 lancierte Programm bis Ende 2008 sämtlichen Einwohnern Andhra Pradeshs zugänglich sein.


Zuvor gab es in den ländlichen Gebieten Indiens, wo nach wie vor 700 Millionen Inderinnen und Inder leben, viele Missstände. Die Leute konnten sich die medizinische Versorgung nicht leisten, wussten nicht Bescheid über ihre Rechte oder wohnten schlicht zu weit weg von Gesundheitseinrichtungen. «95 Prozent der Bewohner ländlicher Gebiete leben mehr als drei Kilometer entfernt», so Chennupati. Das ist die kritische Distanz. Personen ausserhalb dieses Radiusses suchen einen Arzt entweder gar nicht auf, oder erst, wenn es schon fast zu spät ist. In Indien kann man nicht eben in den nächsten Bus steigen und Leute, die teilweise von gerademal einem Dollar pro Tag leben, können sich den Arbeitsausfall nicht leisten.

Diagnose per Computer

Den Problemen wird auf mehreren Ebenen begegnet: Mittels Aufklärung über Hygiene, Krankheiten und Bürgerrechte werden die Leute mündiger gemacht. Um den Dorfbewohnern den Weg zu den Kliniken zu ersparen, werden mobile Arztpraxen, sprich mit modernsten Analysegeräten ausgestattete Lastwagen, in die Dörfer geschickt. An Bord sitzt aber kein Arzt, sondern sogenannte «Health Worker», welche rudimentär ausgebildet sind und von einem Arzt, der in einem Callcenter in der Staatshauptstadt Hyderabad sitzt, angeleitet werden. «Ein einziger Van kann so ein Einzugsgebiet von 3000 Personen innerhalb von nur acht Stunden bedienen», sagt Chennupati. Sollte dennoch ein physischer Arztbesuch notwendig sein, werden die Patienten an lizenzierte Fachleute vor Ort verwiesen. Der Service richtet sich in ers­ter Linie an schwangere Frauen, Kinder und chronisch Kranke, die von den mobilen Einheiten auch gleich kostenlos mit Medikamenten eingedeckt werden. Mittels biometrischer Daten werden zudem elektronische Krankenakten angelegt. Damit wird nicht nur die Krankengeschichte der Leute angelegt, sondern gleichzeitig der Verbreitungsgrad gewisser Krankheiten nach Regionen überwacht. «Somit können die Ursachen von Krankheiten leichter ermittelt und eliminiert werden», sagt Chennupati.

Ein weiteres Element bildet die kos­tenlose Hotline 104, wo man sich medizinischen Rat holen kann. Die Diagnose wird aber nicht per se von Ärzten gestellt, sondern von einem intelligenten Computerprogramm, das die Callcenter-Agents durch einen Fragenkatalog führt, diagnostiziert und Rezepte ausstellt. «Am Ende müssen nur rund 20 Prozent der Anrufer an einen Arzt weitergleitet werden», sagt HMRI-CEO Balaji Utla stolz. Effizienz in Reinkultur.


Die Ziele der Organisation sind hoch gesteckt: Bis Ende Jahr soll jeder Bewohner von Andhra Pradesh Zugang zu medizinischer Versorgung haben, danach soll das System auf ganz Indien ausgedehnt werden. «Rund 2000 Vans sind dazu notwendig», schätzt Utla. In Folge soll die Säuglingssterblichkeit von heute 64 Todesfällen je 1000 Babys auf gerade noch fünf zurückgehen: Das würde dem Schweizer Niveau entsprechen. (Markus Gross, Indien)


Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Welchen Beruf übte das tapfere Schneiderlein aus?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER