Der Wind im ERP-Markt wird rauher, seit grosse Anbieter wie
SAP oder
Microsoft den Mittelstand als Wachstumstreiber entdeckt haben. Hinzu kommt, dass immer mehr Funktionen als Standard wahrgenommen werden. IT Reseller hat acht mittelständische Anbieter gefragt, wie sie sich dennoch von ihrer Konkurrenz abheben und den Grossen die Stirn bieten können. Erste Gemeinsamkeit: Sie alle geben sich sehr selbstbewusst. Ihre Grösse scheint durchaus Vorteile zu bieten.
«Die meisten vergleichbaren Produkte von Mitbewerbern können vermutlich etwa gleich viel», gibt Davor Fulanovic, Geschäftsführer des «Alpha+»-Herstellers Fulsoft unumwunden zu. Der Unterschied liege in der Art und Weise, wie das Zusammenspiel der verschienen Module in der Praxis funktioniere, die feinen Details, die den Arbeitsalltag wirklich erleichtern würden. «Intuition», ist ein Schlagwort, das fast alle Hersteller anführen. Der deutsche Software-Hersteller
Wilken beispielsweise, hat in den letzten Jahren viel Zeit und Geld in die Bedienbarkeits-Forschung investiert, wobei mit speziellen Kameras der Blickverlauf und die Maussteuerung aufgezeichnet und daraufhin die Oberfläche optimiert wurde.
Benutzerfreundlichkeit als Merkmal
«ES flossen auch Ergebnisse der Hirnforschung ein», sagt Wolfgang Grandjean, Marketingchef bei
Wilken. Doch auch interne Innovationswettbewerbe sollen bei Wilken den Fortschritt vorantreiben. So präsentierte das Unternehmen an der Cebit eine ERP-Lösung mit Sprachsteuerung, die auf der Idee eines Angestellten basiert.
Europa 3000, Hersteller der gleichnamigen ERP-Lösung, setzt in Sachen Benutzerfreundlichkeit auf Vertrautes: «Die Menüführung in unserer neuen Version Future Technology 3 lehnt sich an die neueste Office-Generation an», so Geschäftsführer Ralph Stucki.
Einfache Bedienbarkeit bedingt auch, dass keine unnötigen Funktionen den Anwender ablenken. Genau hier sehen die kleineren Anbieter, unter anderem dank ihrem Branchenfokus, einen Vorteil gegenüber den Grossen. «Unternehmen unterscheiden sich bei der Erbringung der Leistungen im Wettbewerb», sagt Godesys-Vorstand Godelef Kühl. Nicht nur das Produkt oder der Preis mache den Unterschied, sondern auch Prozesse.
Branchenfokus ein grosser Vorteil
Daher müssten moderne ERP-Lösungen in der Lage sein, mit der zunehmenden Dynamik und der gleichzeitig steigenden Komplexität in der modernen Geschäftswelt umzugehen. Man müsse daher zunehmend breiter gefasste Themengebiete besetzen und sich gleichzeitig auf bestimmte Branchen und Nischen konzentrieren. «Einzig die ganz grossen Player erheben noch den Anspruch, für alles und jeden die richtige Lösung zu haben», ist Kühl überzeugt. «Wer den Spagat überdehnt, wird irgendwann auf seinem Hintern sitzen.»
Viele Lösungen hätten eine zu grosse Funktionalität, meint Vertec-Verkaufsleiter Urs Berli. «Je schlanker ein ERP-System ist, desto besser», bringt er die Situation auf den Punkt. «Ein Anwender benötigt meist nur etwa 20 Prozent des Funktionsumfangs heutiger ERP-Systeme», bestätigt Grandjean. Beim Rest handle es sich um Sonderfunktionen, die er kaum braucht, ihn bei der täglichen Arbeit aber irritieren und zu Fehlern verleiten. «Moderne Software konfiguriert sich deshalb rollenbasiert und individuell je nach Anmeldung.» Für den jeweiligen Nutzer unnötige Funktionen werden dabei ausgeblendet.
Hohe Anpassbarkeit verlangt
Wie schon angedeutet, zwingen die steigenden Anforderungen der Anwender auch die mittelständischen Anbieter zu einem - zumindest kleinen - Spagat. «Die Kunden wollen heute eine integrierte Schaltzentrale für das ganze Unternehmen», weiss beispielsweise Berli. Dabei, so Simon Lüdi vom Tosca-Hersteller Dynasoft, wünschen sich die Anwender ein hohes Mass an Standardisierung bei gleichzeitiger Abbildung individueller Prozesse. «Die Vorteile von Standardlösungen sind unbestritten, jedoch stehen sie im Widerspruch zur Heterogenität innerhalb einer Branche», führt Lüdi aus.
Viele ERP-Systeme seien kaum oder nur über Scriptsprachen an die Kundenanforderungen anpassbar, so Stucki, was bei Updates jeweils einen grossen Migrationsaufwand verursache. «Europa 3000 verfügt deshalb über spezielle Integrationswerkzeuge, die eine rasche Anpassung der Standardsoftware an unternehmensspezifische Prozesse erlaube.
Einfach individualisierbare Lösungen sind also gefragt. Um dieses etwas widersprüchliche Ziel zu erreichen, haben beispielsweise die beiden Hersteller Nissen & Velten (Nvintiy) und Bison (Greenax) zu einer radikalen Methode gegriffen und ihre Lösungen von Grund auf neu programmiert. Zuvor schufen beide dafür ein modernes Entwickler-Tool.
Nur so sei es möglich, den Zielkonflikt zwischen Standardlösung und Individualsoftware zu lösen, sagt François Berger, CEO von Nvinity Software Schweiz. Das jeweilige Entwickler-Tool stellen die beiden Unternehmen auch ihren Partnern und Kunden zur Verfügung, die damit Anpassungen vornehmen oder Branchenlösungen programmieren können, ohne dass es bei einem Release-Wechsel zu Problemen kommt.
«Für Anwender und Entwickler sind nur Parameter zugänglich, die ausschliesslich geschäftliche Eigenschaften von Prozessen, Funktionen und Datenstrukturen verändern. So sind die technologischen Eigenschaften sicher gekapselt», beschreibt Bison-Marketingleiter Heinz Ranner die Vorzüge dieser Lösung. «Überleben werden Lösungen, die sich ohne Folgekosten zu verursachen, an die individuellen Bedürfnisse der Unternehmen anpassen lassen», ist Berger überzeugt.
Firmenübergreifende Zusammenarbeit
Zusätzlich verkompliziert wird die Situation durch die Tatsache, dass sich die Anwenderfirmen immer besser mit ihren Partnern und Lieferanten vernetzen wollen, während gleichzeitig die Ansprüche an die ERP-Lösung steigt. BI-Funktionen beispielsweise werden immer wichtiger. «Die Anwender wollen mit ihrer ERP-Lösung nicht mehr nur das Tagesgeschäft abwickeln, sondern auch einen Mehrwert generieren», sagt Lüdi.
Sie verlangen freieren Zu- und Umgang mit ihren Daten. Grandjean von
Wilken stimmt ihm zu: «Rechnen Mittelständler schon immer scharf, so entdecken sie nun, dass ihnen die Software komfortablere Werkzeuge als den berühmten spitzen Bleistift zur Verfügung stellt.» Entsprechend steige beispielsweise die Nachfrage nach Auswertungs-Software. Kennzahlen würden grafisch aufbereitet und mit Frühwarnsystemen verknüpft. Auch eine Drill-Down-Funktion zur Aufsplittung der Zahlen bis auf die untersten Beleg-
ebenen seien gefragt.
Offenheit und Mobilität zentral
Hier sind sich alle acht befragten Anbieter einig. Die Offenheit der ERP-Systeme ist unumgänglich. «Schnittstellen zu anderen Softwareprodukten sind zentral», so Fulanovic von Fulsoft. Leider, so Godelef Kühl, hinke man heute bei der Vernetzung von Daten und Informationen am User-Interface noch ziemlich hinterher. «Da hilft nur die konsequente Nutzung offener Standards und die weitere Öffnung von uns Software-Unternehmen gegenüber den Bedürfnissen der Kunden. Dem werden sich auch die grossen Anbieter nicht entziehen können, ist Grandjean überzeugt. «Sie können ihr Wissen nicht länger abschotten, sondern müssen sich öffnen.» Die Open-Source-Bewegung, mit ihrem wissenschaftlichen Ansatz zu Offenheit und Transparenz, werde zur grössten Umwälzung im Software-Markt führen.
Zu solch einer Umwälzung führt auch das zunehmende Bedürfnis nach Mobilität. «Webbasierte Lösungen werden zum Standard und lösen nach und nach die Client-Server-Systeme ab», so Granjean. Und er ist nicht der einzige, der diese Meinung vertritt.
Innovative Mäuse dank Elefanten
Bei so viel Einigkeit stellt sich die Frage, inwiefern die Innovationen der Konkurrenz die Entwicklungstätigkeiten beeinflusst. «Im Prinzip wenig», meint Lüdi von Dynasoft. Alle Mitbewerber würden denselben Herausforderungen begegnen und fänden oft die gleichen Lösungsansätze. «Bei einem Kopf-an-Kopf-Rennen schaut man besser nach vorne als nach links und rechts.» Dem stimmt man bei
Wilken zu: «Es gibt Trends denen sich alle Anbieter stellen müssen. Wir entwickeln selbständig und schielen nicht auf den Wettbewerb.» Bei
Vertec und Fulsoft sieht man die Kunden als wichtigste Innovationstreiber.
Das vermag Godelef Kühl nicht recht glauben: «Die meisten werden diesen Einfluss vermutlich kleinreden», sagt der Godesys-Gründer. Er selber halte dies für falsch, da Wettbewerb immer gut sei für die Kunden. Insbesondere der Markteintritt von
SAP und
Microsoft in das KMU-Segment habe die Innovationstätigkeit enorm angeschoben. «Dank Open Source», da ist sich Kühl sicher, «kann die Maus den Elefanten erschrecken.»
Wer noch nicht genug Argumente hat und die acht Anbieter einem Direktvergleich unterziehen will, hat am 1. und 2. April die Gelegenheit dazu. Sie sind alle an der Topsoft in Bern vertreten. (Markus Gross)