Kooperationen mit dem Mitbewerber - Fairness ist zentral
Quelle: Swiss IT Reseller

Kooperationen mit dem Mitbewerber - Fairness ist zentral

Die zunehmende Komplexität in der IT, immer grössere Projekte und der Wunsch von ­Kunden, alles aus einer Hand zu beziehen, macht Kooperationen unter IT-Dienstleistern zunehmend zur Pflicht. Walter Borgia, CEO von Lake Solutions, Yannic Graber, Mitgründer von Joker IT, Vanja Rohr, CEO von Fernao Somnitec sowie Dominic Wullschleger, Head of Sales & Marketing von ­Arcplace, haben sich mit «Swiss IT Reseller» an einen Tisch gesetzt, um sich über das Thema Kooperationen mit Mitbewerbern zu unterhalten – über ihre Vorgehensweise, die Herausforderungen, ihre gemachten Erfahrungen und über die Unterstützung seitens Herstellern und Distribution. Dabei herrscht Einigkeit darüber, dass es ohne Kooperationspartner kaum mehr geht und dass eine Partnerschaft in erster Linie fair und nutzbringend für den Kunden, aber auch für die beteiligten Partner sein muss.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2024/06

     

«Swiss IT Reseller»: Sie alle sitzen hier am Tisch, weil Ihr Unternehmen das Thema Co-Competition lebt, also für Projekte nach Bedarf die Zusammenarbeit mit Mitbewerbern sucht. Können Sie zum Start ein wenig ausführen, wie Sie rund um das Thema Zusammenarbeit vorgehen?
Walter Borgia, Lake Solutions:
Unser Vorgehen ist so, dass wir unsere Lieferanten nach A-, B- und C-Herstellern klassifiziert haben. A-Hersteller decken wir vollumfänglich selbst ab, bei B-Herstellern betreuen wir in der Regel gewisse Teile eines Projekts selbst, während wir andere Aufgaben, beispielsweise den Betrieb, mit Partnern sicherstellen. Und bei C-Partnern suchen wir zusätzlich noch die Kooperation mit dem Hersteller direkt. Diese Aufteilung macht für uns Sinn, und unser Anspruch ist es, die optimale Gesamtlösung im Sinne des Kunden zu designen. Dabei kommt es immer wieder vor, dass wir für Teile der Lösung auf die Hilfe von Partnern angewiesen sind, die auf diesen Teilbereich spezialisiert sind, oder eben auf die Hilfe der Hersteller direkt.

Yannic Graber, Joker IT: Unser Vorgehen ist ein wenig anders, wohl auch dadurch bedingt, dass wir ein kleinerer IT-Dienstleister und stark auf Microsoft-Cloud-Umgebungen spezialisiert sind. Dadurch gibt es gerade bei grös­seren Projekten sehr viele Schnittstellen zu Lösungen, auf die andere Anbieter spezialisiert sind. Und das machen wir gegenüber unseren Kunden auch sehr transparent klar. Bei uns ergeben sich die Kooperationen also von Projekt zu Projekt und werden oft auch durch den Kunden getrieben. Wenn der Kunde nicht bereits bestehende Partnerschaften pflegt, dann nehmen wir Partner mit, mit denen wir in früheren Projekten gute Erfahrungen gemacht haben.


Dominic Wullschleger, Arcplace: Wir stehen hier irgendwo dazwischen. Die Anzahl Produkte in unserem Portfolio ist überschaubar, da wir in Nischen aktiv sind. Die Situation, die wir zunehmend antreffen ist, dass der Kunde eine Gesamtlösung verlangt, die aus mehreren Komponenten und Technologien besteht und die er im Idealfall aus einer Hand geliefert bekommt. Meist sind wir nicht in all diesen Technologien die Experten, haben gleichzeitig aber den Anspruch, die Kundenbedürfnisse bestmöglich zu erfüllen. Je nachdem holen wir uns dann die Unterstützung anderer Spezialisten oder aber der Hersteller – Zweites vor allem dann, wenn wir den Anspruch haben, in einem Technologiebereich unser eigenes Know-how voranzubringen. Die Konstellationen sind immer etwas unterschiedlich, doch ganz grundsätzlich sind Kooperationen für uns ein enorm wichtiges Element dabei, Projekte möglichst optimal abzuwickeln.

Vanja Rohr, Fernao Somnitec: Letztlich funktionieren wir alle sehr ähnlich, denke ich. Wir bei Fernao Somnitec unterscheiden verschiedene Arten von Partnerschaften wie beispielsweise zu Herstellern wie Microsoft und Lenovo, die uns mit Produkten unterstützen oder zu Delivery-­Partnern, die uns mit Know-how unterstützen. Dabei handelt es sich oft auch um Mitbewerber, Spezialisten in Bereichen, wo uns die Spezialisierung aktuell fehlt. Meist sind das dann Unternehmen, mit denen wir seit langem gute Beziehungen pflegen. Noch nicht erwähnt und für uns auch relevant sind Partner, die nicht aus dem technischen Bereich kommen – zum Beispiel Spezialisten aus den Bereichen Legal oder HR, die wir je nach Projekt oder nach Bedürfnis des Kunden ebenfalls hinzuziehen oder dem Kunden empfehlen, wenn er etwa rechtliche Unterstützung oder bestimmte Fachkräfte braucht. Weiter haben wir Referral-­Partner – Outsourcing-Berater zum Beispiel –, die uns bei potenziellen Kunden oder für Projekte empfehlen. Wir sprechen hier von einem Business-Eco-System. Dieses Eco-System muss man aktiv pflegen, und aus diesem Grund haben wir seit letztem Jahr einen Partner Manager angestellt, der sich hauptsächlich um all diese Partnerschaften kümmert. So können wir heute Partner auch nach ihrem Added Value einstufen, und können die Frage, was uns eine Partnerschaft konkret bringt, viel genauer beantworten.
Partnerschaften zu pflegen ist sicher wichtig, Doch wie findet man überhaupt passende Partner für eine spezifische Anforderung?
Vanja Rohr:
Wir finden neue Partner oftmals über unsere Kunden, die ja meist bereits Partnerschaften mit anderen Zulieferern oder Herstellern pflegen. Wir betreiben auch ein aktives Partner-Scouting. Unser Partner Manager, den ich erwähnt habe, pflegt nicht nur bestehende Partnerschaften, sondern ist auch aktiv dabei, ergänzend oder komplementär zu fehlenden Kompetenzen in unserem Portfolio den Markt nach potenziellen neuen Partnern abzusuchen – wir haben das Partner-Scouting also sozusagen institutionalisiert über einen standardisierten Prozess, von der Suche über die Evaluation bis hin zum Onboarding in der Organisation.

Walter Borgia: Eine Quelle für neue Partnerschaften sind sicher auch die Events der grossen Hersteller, wo man Marktbegleiter und damit potenzielle Kooperationspartner trifft. Aber auch andere Veranstaltungen oder dieser runde Tisch hier können eine Gelegenheit sein, Partnerbeziehungen aufzubauen. Letztlich läuft das Finden und Pflegen von Partnerschaften klassisch über Networking und den Aufbau einer Vertrauensbasis. Denn ganz wichtig in einer Kooperation mit einem Mitbewerber ist, dass der Partner, den wir bei einem unseren Kunden in ein Projekt bringen, nicht plötzlich Ambitionen hegt, uns den Kunden abspenstig zu machen. Dazu braucht es klare Abmachungen, offene Kommunikation und ein gesundes Vertrauensverhältnis. Fairplay ist das entscheidende Stichwort hier.


Yannic Graber: Fairplay ist ein ganz wichtiger Punkt – und zwar in allen Geschäftsbeziehungen, mit Herstellern, Kunden, Mitarbeitern und natürlich mit Partnern. Eine Partnerschaft überlebt nur, wenn sie fair ist und in beide Richtungen stimmt. Beide Partner müssen einen Mehrwert ziehen können, und sobald einer versucht, dem anderen dessen Kunden abzujagen, ist eine Partnerschaft schwierig. Und die Erfahrung hat gezeigt: Wer das versucht, ist bestenfalls kurzfristig erfolgreich – nachhaltig ist so etwas nicht.

Haben Sie alle schon negative Erfahrungen in die Richtung gemacht?
Vanja Rohr:
Definitiv, und ich denke, das kann ich für jeden hier am Tisch so beantworten (...kollektives Nicken). Wir stellen einfach fest, dass es auch Partnerschaften gibt, die schlicht nicht funktionieren – auch weil es kulturell zwischen den Firmen überhaupt nicht passt oder die gegenseitigen Erwartungshaltungen nicht übereinstimmen.

Wann merkt man das?
Dominic Wullschleger:
Idealerweise nicht zu spät. Nicht selten hat man jedoch zu Beginn einer Partnerschaft nicht mit denselben Leuten zu tun wie in der Umsetzung. Doch zumindest weiss man dann, dass man mit diesem Partner bei einem nächsten Projekt wohl nicht mehr zusammenarbeiten möchte.

Yannic Graber: Für uns ist ganz entscheidend, dass die Arbeit Spass macht und auch dass eine Partnerschaft Spass macht. Sobald dieser Punkt bei der Arbeit mit einem Partner nicht mehr erfüllt ist, ist das ein Indiz, dass die Partnerschaft nicht funktioniert. Ich glaube auch, dass eine Partnerschaft nur dann Nutzen für beide bringt, wenn man gerne zusammenarbeitet.


Walter Borgia: Manchmal merkt man schon relativ früh in einer Partnerschaft, dass es irgendwie nicht stimmt. Dann kommt es meist gar nicht zu einem gemeinsamen Angebot.

Dominic Wullschleger: Absolut, wenn ich im Vorgespräch schon klären muss, dass man die eigenen Kunden gegenseitig respektieren soll, und wenn auf Fragen in diese Richtung nur schwammige Antworten kommen, dann sind das meist gute Anhaltspunkte, dass eine Partnerschaft schwierig werden könnte.
Yannic Graber: Das sehe ich genauso. Doch wenn die Ausgangslage so ist, dass der Kunde in einem Projekt ein partnerschaftliches Vorgehen verschiedener Lieferanten verlangt, dann wird es etwas komplizierter, denn dann gibt der Kunde die Spielregeln – die Partnerschaften – vor. Dann kann man nicht wählen und hat die Partnerschaften nicht in eigenen Händen.

Walter Borgia: Und in diese Situation kommt man immer wieder. Hier stellt sich für mich dann jeweils die Frage, ob ich diesen – ich sage mal Schicksals­partner – für ein nächstes Projekt wieder anrufen würde. Hat die Zusammenarbeit funktioniert, hat man sein ­eigenes Netzwerk an potenziellen Kooperationspartnern erweitert, hat sie nicht funktioniert, wird man ein nächstes Mal kaum zum Hörer greifen.
Inwieweit sind die Hersteller und Distributoren eine Unterstützung dabei, passende Partner zusammenzuführen – als Matchmaker zu agieren?
Vanja Rohr:
Stand heute helfen uns die Hersteller nur begrenzt, uns mit anderen Partnern zusammenzubringen oder in Projekten zu kooperieren. Ich denke, hier wäre mehr möglich, und wir sehen auch erste Ansätze in die Richtung rund um das Thema KI – zum Beispiel seitens Lenovo. Doch aktuell gibt es wenige Hersteller – zumindest von denen wir wissen –, die ihren Partnern den Zugang zu ihrem eigenen Partnernetzwerk orchestriert und strukturiert – beispielsweise nach Themenbereichen – zur Verfügung stellen. Hier wäre viel Potenzial vorhanden. Die Distribution hingegen ist in dem Bereich aktiver. Wer hier gute Beziehungen pflegt, bekommt auch Unterstützung bei der Suche nach einem spezifischen Partner für ein bestimmtes Themengebiet.

Yannic Graber: Ich sehe das recht ähnlich. Bei den Distributoren sind die Bemühungen und ist das Netzwerk auf jeden Fall vorhanden. Umgekehrt bekommen wir seitens der Distribution auch Anfragen von Partnern, die Unterstützung von unserer Seite suchen. Seitens Hersteller – wobei ich hier vor allem von Microsoft spreche – sehe ich die Bemühungen schon auch. Doch diese Bemühungen sind einem sehr kleinen Kreis an Partnern mit dem entsprechenden Status bei Microsoft vorbehalten. Was wir nutzen, sind sicherlich die Microsoft-Veranstaltungen, um mit der Community in Kontakt zu bleiben.


Walter Borgia: Man muss sich auch die Frage stellen, warum der Hersteller Partner vernetzen soll. Einerseits kennen sich die grösseren Partner eines Herstellers ohnehin. Andererseits ist es doch so, dass, wenn ich die Hilfe eines anderen Partners brauche, dieser Partner eigentlich auch aus einem anderen Bereich kommt – bei einem anderen Hersteller ist. Darum ist die Distribution mit verschiedenen Herstellern im Portfolio deutlich besser geeignet, Partner zusammenzuführen. Innerhalb eines Herstellers suche ich selten zusätzliche Kompetenzen, da ist man – trotz regem Austausch – in der Regel vor allem Mitbewerber.

Dominic Wullschleger: Da wir vor allem mit Herstellern arbeiten, die nicht über die Distribution gehen, haben wir als Arcplace praktisch nichts mit den Distributoren zu tun. Gleichzeitig sind unsere Hersteller zwar gross, zählen oft aber nur einen oder zwei Partner pro Land. Die Bemühungen, die diese Hersteller leisten, sind sehr unterschiedlich. Wir sehen Hersteller, die sich wirklich anstrengen, eine Community rund um ihre Produkte zu schaffen, während andere Hersteller vor allem auf Abschlüsse fokussieren und sich kaum darum kümmern, Synergien innerhalb des Partnernetzwerks zu schaffen. Und ich bin der Meinung, dass es damit, seine Partner einmal jährlich an einen Event einzuladen, schon nicht getan ist.

Vanja Rohr: Hier sind wir bereits wieder bei der Frage der Unternehmenskultur und der Zusammenarbeit. Wenn man mit einem Hersteller arbeitet, der nur auf den Abschluss aus ist und daneben kaum Support bietet, dann ist auch die Zusammenarbeit mit diesem Hersteller und rund um die Produkte dieses Herstellers weniger eng, weniger intensiv. Und gerade in der Schweiz unterhalten viele Hersteller vor allem Sales- und Marketing-Organisationen, was in meinen Augen nicht optimal ist. Man bekommt viel Unterstützung, um ein Projekt zu gewinnen, wenn es dann aber um Support bei der Delivery-Kompetenz geht, wird es schwierig. Das wäre auch mein Wunsch an die Hersteller, dass sie nebst Sales- und Marketing-Kompetenz auch Delivery-Kompetenz im Land aufbauen.

Walter Borgia: Das ist auch der Grund, warum wir diese Einteilung nach A-, B- und C-Herstellern gemacht haben und auf bestimmte, aber eher wenige Hersteller fokussieren. Mit diesen Herstellern ist die Zusammenarbeit sehr eng geworden, wir pflegen gute Beziehungen, bekommen den nötigen Support und hier können wir in der Regel auch alles abdecken. Gleichzeitig gibt es immer wieder Teile in einem Projekt, wo wir auf andere Partner angewiesen sind. Das legen wir gegenüber dem Kunden auch immer transparent offen, alles andere wäre unglaubwürdig.

Das bringt mich zu meiner nächsten Frage, nämlich der, wie man in einem kollaborativen Projekt gegenüber dem Kunden auftritt?
Yannic Graber:
Gegenüber dem Kunden soll absolut transparent sein, zu welchem Unternehmen die Leute, die in einem Projekt arbeiten, gehören. Das gilt auch dann, wenn wir in einem Projekt Sub-Contractor beschäftigen müssen. Dann weisen wir das gegenüber dem Kunden bereits von Beginn weg auf, legen den Partner und unser Verhältnis zu diesem Partner auf den Tisch – allein schon deshalb, weil der Kunde auch einverstanden sein muss.

Dominic Wullschleger: Es gibt gar keine andere Möglichkeit, allein schon aus dem Grund, wie die Ausschreibungen heute gemacht werden. Da wird verlangt, dass allfällige Subunternehmer und deren Leistungserbringung klar deklariert wird. Anders kenne ich das heute gar nicht mehr. Es geht dabei auch um das Thema Risikobeurteilung seitens des Kunden, und heute gehen gewisse Ausschreibungen sogar soweit, dass man für die Unternehmen, die in einem Projekt an Bord sind, Lohngleichheitsstudien vorlegen muss, weil beispielsweise eine öffentliche Institution per se nicht mit einem Unternehmen zusammenarbeitet, dass das nicht liefern kann.


Vanja Rohr: Selbst wenn wir als Generalunternehmung (GU) auftreten, legen wir offen, wer alles involviert ist. Wichtig ist grundsätzlich, dass die Verantwortlichkeiten entsprechend geregelt sind. Als GU übernehmen wir die Gesamtverantwortung, sichern uns zu den involvierten Partnern vertraglich aber selbst wieder ab. Wenn der Kunde hingegen Einzelverträge abschliesst, ist es wichtig, dass die Verantwortlichkeiten zwischen den Parteien und dem Kunden klar geregelt werden, um Konflikte und Diskussionen zu vermeiden.

Wie funktioniert denn die Abrechnung, wenn gemeinsam in einem Projekt gearbeitet wird?
Dominic Wullschleger:
Das gibt eigentlich der Kunde vor. Will der Kunde mit jedem involvierten Partner abrechnen, dann machen wir das möglich. Immer öfter stelle ich aber fest, dass der Kunde einen Ansprechpartner und entsprechend auch nur einen Rechnungssteller möchte. Bei uns ist dass dann jeweils verbunden mit einem GU- oder Risikozuschlag für unseren Aufwand und letztlich unser Risiko, für das wir uns auch erlauben, einen gewissen Anteil des Honorars einzubehalten. Egal welchen Weg man wählt, mir erscheint wichtig, dass es einen Verantwortlichen für die Gesamtkosten gibt. Dass kann der GU sein, dass kann aber auch jemand auf Kundenseite sein, der die verschiedenen Dienstleister managt und die entsprechenden Einzelbudgets und das Gesamtbudget verantwortet.

Vanja Rohr: Wir machen das genau gleich – wenn wir den gesamten administrativen Aufwand und das Risiko in einem Projekt tragen, dann nehmen wir dafür auch etwas. Dieser Anteil muss nicht riesig sein, aber die Aufwände für die Tätigkeiten sollten gedeckt sein. Für mich ist bei der Frage, wer gegenüber wem wie abrechnet, noch entscheidend, wer den Auftrag vergeben hat. Wenn der Kunde dem Subunternehmen einen Auftrag direkt vergibt, ist es mir lieber, er rechnet auch direkt mit ihm ab. Wenn aber wir ein Projekt koordinieren und quasi Unteraufträge vergeben, dann rechne ich lieber direkt ab, weil so weniger Missverständnisse entstehen und die Verhältnisse klarer sind.


Yannic Graber: Vieles hängt auch von der Projektgrösse ab. Je grösser ein Projekt, desto mehr hat der Kunde das Bedürfnis, genau zu wissen, mit wem er im Falle von Problemen verhandeln muss. In der Regel möchte er dann nicht mehrere Parteien, die mit dem Finger aufeinander zeigen, sondern ein Gegenüber, das die Koordination übernimmt.

Walter Borgia: Ich erlebe das genau gleich. Gerade in grösseren Projekten möchte der Kunde heute möglichst wenige Partnerschaften eröffnen und allenfalls noch auditieren müssen. Also kommt es immer öfter vor, dass wir mit Subunternehmen abrechnen, allein schon, um die Aufwände rund um Verträge und Compliance klein zu halten. Und es hat für den Kunden nicht nur administrative Vorteile, sondern macht sein Leben im Falle von Problemen auch einfacher, eben weil es dann kein Fingerpointing gibt.

Yannic Graber: Und es gibt nichts mühsameres als Streitigkeiten in einem Projekt mit mehreren Partnern, denn man kann Gift darauf nehmen, dass als erste Reaktion jeder mit dem Finger auf den anderen zeigt. Das als Kunde lösen zu wollen, das möchte man nicht. Und dafür ist der Kunde auch bereit, etwas mehr zu bezahlen.

Walter Borgia: Das spürt man auch in der Kundenakquise, wo sich der Kunde heute sicherlich zweimal überlegt, einen neuen Partner an Bord zu holen und ihn zu eröffnen, weil das einen ziemlichen Aufwand bedeutet.


Wenn der Kunde möglichst alles aus einer Hand möchte und zunehmend mehr Anforderungen im Bereich Pre Sales stellt, hat man da als kleinerer Partner überhaupt noch eine Chance?
Yannic Graber:
Wir sind ja ein eher kleinerer Partner, ich glaube aber durchaus, dass wir sehr gute Chancen am Markt haben. Sicherlich ist es für uns weniger ein Thema, als GU aufzutreten. Doch wir sind in den Technologien, die wir anbieten, hochspezialisiert und agieren als Wissensträger, der genau aus diesem Grund für Teile eines Projekts mit ins Boot geholt wird. Was aber nicht heisst, dass wir nicht auch komplette Projekte abwickeln können, wenn der Kunde das wünscht. Wie bereits gesagt haben wir unser Netzwerk und sind durchaus auch in der Lage, ein Projekt für den Kunden gemeinsam mit anderen Partnern zu koordinieren.


Vanja Rohr: Die zunehmende Komplexität in der IT führt in der Konsequenz letztlich zu mehr Spezialisierung in der Partnerlandschaft. Eine mögliche Strategie als Partner kann sein, sich nur auf ein bestimmtes Thema zu fokussieren und alles links und rechts davon auszublenden, oder mit anderen Partnern zu lösen. Ein Projekt aber ist in der Regel breiter aufgestellt, setzt also mehrere Spezialisten voraus, die jemand orchestrieren muss. Viele Kunden möchten diese Aufgabe nicht selbst übernehmen, und an diesem Punkt kommen Unternehmen wie wir ins Spiel. Wir können diese Orchestrierung als breit aufgestellter Outsourcing-Provider übernehmen, und unsere Spezialisierung sowie das Know-how aus der Partnerlandschaft den Kunden geordnet zur Verfügung stellen.

Wir haben es bereits angesprochen, doch nochmals ganz konkret: Wie gross ist die Gefahr, dass ein Partner, den Sie für ein Projekt mit ins Boot holen, über kurz oder lang versucht, sich bei Ihrem Kunden auch über das Projekt hinaus breitzumachen – Ihnen den Kunden also abspenstig machen will? Und was kann man dagegen tun?
Walter Borgia:
Verhindern lässt sich so etwas kaum. Das Einzige, was man tun kann, ist, möglichst stabile Kundenbeziehungen aufzubauen und beim Kunden einen so guten Job zu machen, dass ein anderer Dienstleister gar nicht zum Thema wird. Sicher ist aber: Mit einem Partner, den ich an Bord geholt habe und der dann versucht, mir den Kunden wegzunehmen, habe ich zum letzten Mal zusammengearbeitet.

Vanja Rohr: Für den Kunden muss es überhaupt erstmal einen Grund geben, sich potenziell auf einen neuen Partner einzulassen. Gründe können sein, dass die Qualität der eigenen Arbeit ungenügend oder gar schlecht ist oder dass der Mitbewerber preislich massiv günstiger ist. Wer einen schlechten Job macht, ist am Ende des Tages selbst verantwortlich, wenn der Kunde offen für einen neuen Partner ist. In diesem Fall kann man auf die Gesprächsbereitschaft des Kunden und der offenen Äusserung seiner Unzufriedenheit hoffen, um nochmals nachbessern zu können. Wenn der Preis der ausschlaggebende Faktor ist, sollte man der Sache näher auf den Grund gehen – vor allem, wenn der gleiche Hersteller dahintersteht, auch um sicherzustellen, dass seitens Hersteller fair gespielt wird.


Dominic Wullschleger: Das kennen wir, und es gibt auch Kunden, die das bewusst ausspielen. Genauso wie wir es schon erlebt haben, dass Kunden Leistungen von Partnern, die eigentlich über uns erbracht wurden, plötzlich zu einem besseren Preis direkt beziehen wollten. Solche Konstellationen gibt es, und meist merkt man dann auch relativ rasch, dass etwas nicht stimmt. Dann stellt sich die Frage, wie man darauf reagieren soll. Entscheidend ist für mich auch die Frage, welche Leistungen ein Partner bei meinem Kunden zusätzlich noch verkaufen will. Wenn ich selbst diese Leistung ohnehin nicht hätte erbringen können, dann kann mir das eigentlich egal sein. Im besten Fall mache ich dann noch eine Kick-back-Regelung aus, dann profitiere ich sogar noch ein wenig. Oder ich weiss, dass ein verlässlicher Partner irgendwann auch mir einen Stein in den Garten wirft.

Walter Borgia: Da bin ich einverstanden, solange mein Kooperationspartner nicht in meinem Teich fischt, ist es absolut okay, wenn er versucht, sich zusätzliche Arbeit zu sichern. Heikel wird es erst dann, wenn er mir dort Konkurrenz macht, wo ich den Kunden bereits versorge.

Yannic Graber: Auch hier geht es wieder um das Thema Fairness. Was tue ich für meinen Partner, und was tut mein Partner für mich – dieses Verhältnis muss stimmen.

Dominic Wullschleger: Idealerweise schaut man bereits zu Beginn einer Partnerschaft darauf, dass eine Win-Win-Situation entstehen kann. Dass ich Kunden habe, wo mein Partner Mehrwert bringen kann, und dass mein Partner im Gegenzug Kunden hat, wo ich mit meinen Leistungen ergänzen kann. Vor allem dann, wenn man strategische, langfristige Partnerschaften anstrebt, sollte das ein Faktor sein, den man beachtet. Bei opportunistischen Kooperationen für einen einzelnen Deal ist das weniger ein Thema.

Ich möchte das Thema Preise nochmals aufgreifen. Wieso kommt es denn zur Situation, dass ein Hersteller Partnern unterschiedliche Preise gewährt?
Walter Borgia:
Als Partner eines Herstellers ist man heute gezwungen, dessen Partnerprogramm relativ genau zu kennen und dafür zu sorgen, den höchstmöglichen Partnerstatus zu haben, um den besten Preis zu kriegen. Tut man das nicht, läuft man immer Gefahr, dass ein anderer Partner reingrätscht – und zwar nicht einmal einer, den man selbst beim Kunden reingebracht hat, sondern ganz grundsätzlich.

Vanja Rohr: Und als IT-Dienstleister all die verschiedenen Partnerprogramme zu managen, ist extrem aufwändig – vor allem dann, wenn man mit vielen unterschiedlichen Herstellern arbeitet. Dann braucht man rasch Mitarbeitende, die sich dediziert mit den Programmen und den Änderungen, die in den Programmen immer wieder gemacht werden, auseinandersetzen. Ich nehme Microsoft als Beispiel: Um wirklich zu verstehen, was es alles braucht, um die bestmöglichen Konditionen, Rabatte und Vergünstigungen zu erhalten und beim Hersteller auch die nötige Awareness zu bekommen, muss man richtig viel Zeit und Ressourcen investieren. Wir beschäftigen seit rund zwei Jahren eine dedizierte Person, welche hauptsächlich die verschiedenen Partnerprogramme managt. Dies ist nicht unser Partner Manager, den ich erwähnte habe, sondern eine andere Person, die sich nur um Herstellerprogramme, Zertifizierungen und Lizenzen kümmert. Seitdem können wir mehr von den Programmen profitieren, womit unsere Kunden ebenfalls mehr profitieren und wir erreichen mehr Visibilität bei den Partnern. Insbesondere die Hersteller könnten uns Partner hier besser unterstützen durch mehr Kontinuität in den Programmen.


Walter Borgia: Und wenn wir schon beim Thema sind, wie die Hersteller unser Leben erleichtern könnten: Ich fände es richtig und wichtig, wenn Hersteller das Thema Deal-Schutz ernst nehmen – unabhängig von meinem Partnerstatus. Es kann nicht sein, dass ich ein Projekt bei einem Hersteller eröffne und registriere, Vorleistung erbringe, und dann kurz vor der Ziellinie, bevor der Auftrag vergeben ist, ein anderer Partner mit höherem Partnerstatus mir das Projekt noch vor der Nase wegschnappt.

Yannic Graber: Wobei man auch sagen muss, dass es Hersteller gibt, die sich hier vorbildlich verhalten. Leider aber nicht alle. Mir wäre es noch ein Anliegen, wenn die Hersteller versuchen würden, die administrative Komplexität zu reduzieren. Wenn ich sieben Mal beweisen muss, wo ich überall aktiv bin, und unzählige Unterschriften und Nachweise leisten muss, generiert das einen riesigen Aufwand bei geringem Nutzen. Oftmals könnten die Partnerprogramme und Partnerbeziehungen sehr viel einfacher gestaltet werden.

Vanja Rohr: Eigentlich müssen wir uns zusammenschliessen und gemeinsam eine Handvoll Leute beschäftigen, die nichts anderes tun, also Programme zu managen, uns diesen Aufwand abnehmen und versuchen, das Beste für unsere Firmen herauszuholen.

Dominic Wullschleger: Genau. Und die Hersteller sollen diese Leute bezahlen (…allgemeines Gelächter).

Vanja Rohr: Und was ich zum Teil auch vermisse, ist, dass die Programme auf die Verhältnisse im Land angepasst sind. Vor allem bei US-Herstellern liegen die Einstiegshürden für das KMU-Land Schweiz oft in unrealistischen Bereichen.

Ich möchte nochmals auf unser Ursprungsthema – die Zusammenarbeit mit Marktbegleitern – zurückkommen. Gibt es hier Erfahrungen, Learnings, die Sie mit anderen Dienstleistern teilen können?
Vanja Rohr:
Unser wichtigstes Learning habe ich bereits geteilt: Man sollte die Unternehmen, egal ob Partner, Hersteller oder andere, mit denen man zusammenarbeitet, aktiv managen und die Beziehungen strukturiert pflegen. Dazu gehört neben der aktiven Pflege auch die Auseinandersetzung mit den Programmen in der Tiefe, um wirklich Mehrwerte für sich und seine Kunden zu generieren.

Dominic Wullschleger: Ich finde den Begriff Coopetition sehr treffend. Man muss wegkommen davon, den bösen Mitbewerber zu sehen. Gerade für uns, die uns oft in der Nische bewegen, hat diese Denke keinen Platz mehr. Ein Mitbewerber ist ein Mitbewerber, sicher, doch für uns sind Mitbewerber in erster Linie potenzielle Kooperationspartner, die uns helfen können, neue Märkte, Kunden und Projekte zu gewinnen, an die wir alleine niemals kommen könnten – und umgekehrt. Wir sind mit unseren 100 Mitarbeitenden kein kleiner Dienstleister – doch kaum ein Anbieter kann heute hinstehen und behaupten, alle Bedürfnisse eines Kunden mit grösstmöglicher Kompetenz abzudecken.


Yannic Graber: Ich sehe das genau gleich. Wer den Mitbewerber nur als Mitbewerber sieht, vergibt ganz viele Chancen. Und ich denke, wir würden alle unterschreiben, dass es auf dem Markt für uns IT-Dienstleister mehr als genug Arbeit für alle gibt. Der Kuchen ist gross genug für alle, man braucht sich nicht um ein einzelnes Stück zu streiten.
Abschliessend würde mich noch interessieren, ob es unter IT-Dienstleistern auch zu Kooperationen abseits von Kundenprojekten kommt? Ich denke da beispielsweise an die Zusammenarbeit rund um das Thema Einkauf, um gebündelt vielleicht bessere Konditionen aushandeln zu können.
Dominic Wullschleger:
Im Bereich Einkauf ist es bis anhin bei uns noch nicht zu Kooperationen gekommen. Kooperationen kommen bei uns hin­gegen vor, wenn wir uns für ein wichtiges Anliegen oder ein bestimmtes Thema mit Marktbegleitern zusammenschliessen, um so mehr Gehör beim Hersteller zu erhalten. Gerade in der Zusammenarbeit mit global tätigen Herstellern kann das durchaus wirksam sein, weil man allein in der Regel zu wenig Gewicht hat.

Vanja Rohr: Auch wir unterhalten keine Einkaufskooperationen. Wir haben das Thema etwa im Zusammenhang mit Lizenzen schon angeschaut, aber nicht aktiv weiterverfolgt, da es doch die eine oder andere rechtliche Hürde gab. Wenn es aber um thematische Fragen geht, dann ist es bei uns wie bei Arcplace, dann kommt es vor, dass man gemeinsam bei einem Hersteller vorstellig wird, um mehr Gehör zu erhalten als als einzelnes Unternehmen. Ich muss aber anfügen, dass das bei uns eher selten vorkommt.


Walter Borgia: Auch wir suchen keine Zusammenarbeit rund um die Einkaufsthematik. Bei unseren A-Herstellern ist es unser Anspruch, aufgrund unseres Umsatzes, den wir machen, ohnehin die besten Einkaufskonditionen zu erhalten. Zudem haben wir den Vorteil, als Teil der Ricoh-Gruppe oft grundsätzlich in einer guten Verhandlungsposition zu sein.

Yannic Graber: Uns betrifft die Thematik darum weniger, weil wir kein Reseller im klassischen Sinne sind. Natürlich verkaufen wir Lizenzen, wenn ein Kunde Lizenzen möchte, doch unser Fokus liegt auf der Umsetzung von Lösungen auf Microsoft-Basis. Und bei grossen Projekten verkauft Microsoft so oder so direkt über die selektierten Large Account Reseller (LARs) – da bleiben wir ohnehin aussen vor, was insofern aber auch kein Problem für uns ist.

Vanja Rohr: Was bei uns zum Teil ein Thema ist, sind Kooperationen im Bereich Ausbildung – gerade angesichts des Fachkräftemangels. Im Zusammenhang mit Lernenden decken wir dann einen Bereich ab, und ein Kunde oder Partner von uns deckt einen anderen ab, so dass der Lernende diverse Sichtweisen auf den Beruf erhält, im Sinne eines Austauschs der Auszubildenden. Das ist zwar sehr organisations- und koordinationsintensiv, aber für alle Parteien mehrwertig und sicherlich ein Konzept mit Potential für die Zukunft.

Die Teilnehmer

Dominik Wullschleger
Dominic Wullschleger ist seit zwölf Jahren Head of Sales & Marketing bei Arcplace. Das Zürcher Unternehmen zählt rund 100 Mitarbeitende an drei Standorten und ist als IT-Dienstleister spezialisiert auf die Digitalisierung und Automatisierung von dokumentenbezogenen Prozessen sowie bei der elektronischen Archivierung. In den rund 17 Jahren des Bestehens hat Arcplace laut eigenen Angaben Lösungen bei über 900 Kunden aus verschiedensten Branchen realisiert.

Yannic Graber
Yannic Graber ist Mitgründer von Joker IT und als Azure Solutions Expert sowie MVP im Unternehmen beschäftigt. Bei Joker IT handelt es sich um einen relativ jungen, 2018 gegründet Microsoft-Spezialisten mit rund zehn Mitarbeitenden und Sitz in Goldau im Kanton Schwyz. 2023 wurde Joker IT von Microsoft als Schweizer Partner des Jahres im Bereich Modern Work ausgezeichnet.


Vanja Rohr
Vanja Rohr ist seit über 14 Jahren für Somnitec – respektive seit Anfang dieses Jahres für Fernao Somnitec – tätig. Anfang 2020 übernahm er die Rolle des CEO. Somnitec wurde 2017 Teil der Fernao-Gruppe und firmiert seit diesem Jahr unter dem Namen Fernao Somnitec. Das Unternehmen ist vornehmlich als Full-Service-Outsourcing-Anbieter tätig und kann über die Fernao-Gruppe auf rund 700 Spezialisten an 25 Standorten in fünf Ländern zugreifen. In der Schweiz bildet Fernao ­Somnitec gemeinsam mit 1stQuad Solutions aus Zürich die Schweizer Plattform der Fernao-­Gruppe.

Walter Borgia
Walter Borgia ist eines der Gründungsmitglieder und CEO von Lake Solutions. Lake Solutions ist ein ICT-Dienstleister, Systemintegrator und Cloud Provider, dessen Wurzeln bis Ende der 90er-Jahre zurückreichen. Seit 2019 gehört das Unternehmen zum japanischen Konzern Ricoh. Lake Solutions mit Sitz in Wallisellen zählt rund 75 Mitarbeitende. (mw)


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