Die flache Versuchung aus Fernost

Immer mehr LCD-TV-Anbieter aus Fernost dringen in den europäischen Markt ein und überfluten Konsumenten haufenweise mit billigen No-name-Produkten. Wie reagieren etablierte TV-Hersteller?

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2005/16

     

Bei einem Gang durch die Hallen der diesjährigen IFA in Berlin sorgte vor allem der Bereich LCD-TV für Verwirrung. Denn erst dort wurde einem richtig klar, wieviele Anbieter sich plötzlich in diesem lukrativen und boomenden Marktsegment tummeln. Jeder möchte sich eine Scheibe vom mächtigen Kuchen abschneiden. War die Anzahl der TV-Hersteller noch vor wenigen Jahren überschaubar, ist dies heute nahezu unmöglich. Immer mehr
No-names machen sich in unseren Breitengraden breit. Aber die IFA Berlin machte deutlich: die grosse Masse an Angeboten vermochte nicht zu überzeugen – mit nur wenigen Ausnahmen. Für das geübte, oder vielmehr das verwöhnte Auge, waren die Qualitätsunterschiede zwischen den renommierten und den No-names denn auch überaus deutlich sichtbar. Billig bleibt eben billig, und das kann auch nicht schöngeredet werden.

Keine Berührungsängste

Unter der Invasion der Billig-LCDs aus Fernost leidet nicht nur der Preis, sondern auch die Qualität der Geräte. Das spüren selbst etablierte A-Player im Markt. So sind beispielsweise die Durchschnittspreise im LCD-TV-Segment innerhalb eines Jahres um satte dreissig bis vierzig Prozent eingebrochen. Doch die Preistalsohle ist jetzt erreicht. Diverse Fachleute etablierter LCD-TV-Hersteller bestätigen: Billiger wird es nicht mehr, noch nicht mal vor dem erwarteten Weihnachtsboom – im Gegenteil. Laut Patrick Balzani, Produktmanager Vision bei Philips, erwarte man sogar einen leichten Preisanstieg gewisser Komponenten.
Die Preisschlacht findet zwar statt, Sony, Philips, Panasonic und Co. spielen aber nicht mit. Eins ist klar: Berührungsängste Richtung Fernost bestehen bei den verankerten Marken nicht. Meist existieren ja sowieso schon Kooperationen im Herstellungsbereich wie beispielsweise Phillips mit LG Electronics und Sony mit Samsung. Dennoch hat das nichts mit Billigprodukten zu tun. Bei Sony Schweiz hält man sich an gewisse Prinzipien. Laut Matthias Graf, Leiter Corporate Communications, ist man auch nicht bereit, sich auf das Niveau der scharfen Konkurrenz einzulassen. «Jeder Preiskampf hat seine Grenzen. Wir stoppen dann, wenn es auf Kosten der Qualität geht», so Graf. Ins gleiche Horn blasen beispielsweise auch Philips und Panasonic.

Beratung im Fachhandel gefragt

Trotz der selbstbewussten und siegessicheren Einstellung hält man die schnell wachsenden Märkte im Auge. Dabei wird vor allem China angesprochen. «Dieser Markt ist schwer einschätzbar», meint Graf. Wenn man vom riesigen Potential Chinas ausgeht, dann gibt es auch allen Grund dazu, diesen Markt sehr genau zu beobachten. Und das vor allem will man im Hause Sony. Graf zu IT Reseller: «Auch wenn China ein äusserst spannender Markt für etablierte Player ist, könnte sich aufgrund neuer chinesischer Anbieter eine Verschärfung der Marktsituation im europäischen Raum entwickeln.» So könnte ja zum Beispiel auch plötzlich der grosse Unbekannte «Brand» aus China den Markt aufmischen und sich gewisse Anteile unter den Nagel reissen. Ernstgenommen wird die neue mögliche Konkurrenz auf jeden Fall. Denn «jedes verlorene Promille Marktanteil ist eins zuviel», bringt es Graf auf den Punkt. Und so denkt wohl jeder der Topplayer. Allerdings geht er davon aus, dass der Markt sich selber regulieren wird, und er glaubt an die Mündigkeit der Endkunden.
Dabei ist vor allem qualitätsbewusste Beratung im Fachhandel gefragt. Beim Autokauf weiss der Kunde oft mehr als der Händler, denn da setzt man sich ja schliesslich mit seinem künftigen Lieblingsspielzeug auseinander – nicht so beim LCD-Fernseher. Kaufentscheidungen basieren dort meistens auf dem Preis. Und da kommt der Fachhändler ins Spiel: Vermag er dem Kunden seinen Billigspleen auszureden, wird nicht nur der Händler, sondern auch der Kunde an der höheren Investition in Qualität seine wahre Freude haben. Wenn man bedenkt, dass die Panels der LCDs sowieso nur von zwei, drei Firmen produziert werden, dann müssen andere Werte eine Rolle spielen. Firmen, die horrende Summen in Forschung und Entwicklung stecken, bieten dem Endkonsumenten automatisch mehr «Know-how». Immerhin entscheidet zu achtzig Prozent die Software darüber, ob ein LCD in der High-end- oder Low-end-Liga mitspielt.

Neue Brands kommen und gehen

Auch wenn Billiganbieter Unruhe in den Handel bringen, ist diese meistens nur von kurzer Zeitdauer. Die meisten Preisbrecher aus Fernost wollen einfach nur hohe Stückzahlen über alternative Kanäle in den Handel bringen, um deren Produktionen auszulasten. «Um jedoch langfristig Erfolg zu haben, muss eine saubere Distribution vorhanden sein und das ist bei den meisten nicht der Fall, sagt Christian Hermle, Pressesprecher John Lay Electronics. In diesem Sektor des Handels läuft wirklich alles über den Preis, entsprechend wird auch gedealt. Und obwohl die A-Player nicht auf dem Schlachtfeld der Unterhaltungselektronik mitkämpfen, ändern sich die Zeiten trotzdem. So ist Patrick Balzani von Philips überzeugt: «Wir haben zwar im Markt eine starke Position, aber die Karten werden trotzdem neu gemischt.» Bei diesem Poker werden am Ende die etablierten Hersteller die Gewinner sein und damit weiterhin an der Spitze der Schweizer Marktanteile. Dabei kommt den Mainplayern im TV-Markt der Standort Schweiz sehr entgegen. Balzani: «Die Schweizer sind sehr markenbewusst.» Matthias Graf von Sony meint zudem: «Auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, oder gerade dann, gibt der Kunde sein Geld eher für Qualität und damit für langfristige Investitionen aus.» Und da Qualität bekanntermassen seinen Preis hat, dürfte das für die grossen Hersteller auch zum gewünschten Ergebnis führen – mit oder ohne Preisbrecher aus Fernost.

Qualitätsprüfung bei Kabelnetzbetreibern

Um die so viel gerühmte Qualität denn auch zu sichern, gehen den LCDs renommierter TV-Hersteller auch umfangreiche Tests voraus. Selbst wenn man davon ausgeht, dass neue LC-Displays erfahrungsgemäss in technisch perfektem Zustand die Schweiz erreichen, ist das für Panasonic beispielsweise noch lange nicht genug. «Die ersten Geräte einer neuen Serie werden von uns unter anderem bei verschiedenen Kabelnetzbetreibern auf deren Signalqualität genauestens getestet», so Christian Hermle. Diese Feinabstimmung auf Schweizer Bedürfnisse daure in der Regel zwischen ein und zwei Monaten. So werde laut Hermle sichergestellt, dass vor der effektiven Auslieferung keine Fehler mehr vorhanden seien. Da können sich die meisten Preisknacker aus Fernost nur im Ruhm der grossen A-Hersteller sonnen. Denn die führen weder so aufwendige Tests durch noch investieren sie so utopische Summen in Forschung und Entwicklung. Sowieso ist in diesem Fall nicht der Brand wichtig, sondern die Umsatzzahlen. So wird dann der Garten der etablierten LCD-Bauer doch ein bisschen umgestochen.
So oder so, die Nachfrage nach den begehrten LCD-TVs steigt ständig an. Logisch: Will doch jeder seinen Freunden mit dem noch grösseren Panel zu Hause imponieren. Aber Grösse ist eben nicht alles. (sm)


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