«Schatz, ich gehe noch mal schnell mit dem Hund raus!», hörte Kurt noch seine Frau sagen, und er entgegnete, ohne Jeanette anzuschauen: «Schliess diesmal die Tür ab!» Zu sehr war er mit seiner Power-Point-Präsentation beschäftigt, die er anderntags vor der Geschäftsleitung eines strategisch wichtigen Bankkunden als verantwortlicher Senior Account Manager halten musste. Kurt, mit aerodynamischer Kurzhaarfrisur, die ihn jünger als 42 erscheinen liess, seit 15 Jahren verheiratet und Vater von 2 Kindern im Alter von 9 und 12 Jahren, brütete weiter über seinen Folien.
So entging ihm, dass seine Frau in ihrem kurzen Minirock und dem tief ausgeschnittenen Top etwas gar aufreizend für den abendlichen Spaziergang mit der zwei Jahre alten Labradorhündin, welche die beiden sich nach ihrer letzten Ehekrise auf Anraten eines Eheberaters angeschafft hatten, angezogen war. Gänzlich in Gedanken versunken, bemerkte er das Surren ihres Handys erst nach ein paar Minuten! Sie hatte vergessen, es mitzunehmen. «Typisch!», seufzte Kurt, während er sich das Telefon schnappte, um es auszuschalten. In der Eile drückte er allerdings auf den falschen Knopf, sodass die folgende Mitteilung auf dem Display erschien: «Liebling, bin im Hyatt! Zimmer 324. Warte sehnsüchtig auf dich! Dein Olaf!»
Kurt schluckte leer und spürte sofort: Dies war das definitive Ende seiner Beziehung. Da würde selbst ein esoterisches Paarseminar im Erzgebirge mit Schwitzhütten-Meditation und Fussreflexzonenmassage nicht mehr weiterhelfen. Kurt Walter war nun zu allem entschlossen: Er wollte sich scheiden lassen.
Finanzieller Abstieg vorprogrammiert
Wer glaubt, diese Geschichte sei an den Haaren herbeigezogen, irrt: Solche und noch viel traurigere Episoden erzählen mir viele Kandidaten. Trennung oder Scheidung hinterlassen bei den Beteiligten nicht selten tiefe Spuren, und die Verarbeitung dauert oft Jahre. Viele wagen es nicht in ihrem Geschäftsumfeld offen über ihre Probleme zu sprechen, oder haben diesbezüglich negative Erfahrungen mit Arbeitskollegen und Vorgesetzten gemacht, erwartet man doch gerade von Vertriebsmitarbeitern, dass sie jene Zuversicht und Dynamik ausstrahlen, die erforderlich sind, um als Verkäufer erfolgreich sein zu können.
Und trotzdem: Auch Unternehmen sollten ein Interesse haben, ihre Mitarbeiter während und nach einer Trennung oder Scheidung professionell zu unterstützen, und zwar sowohl aus ethischen als auch aus betriebswirtschaftlichen Überlegungen. Gemäss Stefan Müller, Lehrbeauftragter an der Fachhochschule in Pforzheim, reduziert sich das verfügbare Einkommen nämlich bei einer Scheidung häufig um mehr als die Hälfte. Gerade im Vertrieb, wo die leistungsorientierte Entlöhnung mit ein wesentlicher Motivationsfaktor darstellt, fällt in einem solchen Fall dieser Aspekt plötzlich weg, dient der Verdienst doch jetzt lediglich zur Abwendung der eigenen existenziellen wirtschaftlichen Bedrohung.
Ähnlich äusserte sich diesbezüglich auch Christoph Maeder, Soziologe und Lehrbeauftragter an der Universität St. Gallen, in einem Artikel der Sonntags-Zeitung vom 23. Januar 2005, wo er die deutliche Zunahme der Sozialfälle nicht zuletzt auch mit der steigenden Zahl von Scheidungen in Zusammenhang brachte. Eine Scheidung, so Maeder, sei oft der Grund für den einkommensmässigen Abstieg.
Wie die Liebe hält
Statistisch gesehen hat sich die Scheidungsrate seit 1975 fast verdoppelt und lag im Jahre 2004 gemäss Bundesamt für Statistik (BFS) bei 44 Prozent. Nicht unbedingt ermutigende Zahlen für den sogenannten «Bund fürs Leben». Was gibt es also für Möglichkeiten, es jenen 44 Prozent nicht gleichzutun und Arbeit und Partnerschaft harmonisch miteinander zu vereinen?
Die Karriereberaterin Jutta Boenig rät unter anderem auf der Job-Plattform monster.ch, die Kalender aufeinander abzustimmen, um so miteinander bewusst einen Teil der verbleibenden Freizeit verbringen zu können. «Gemeinsame Zeit ist ungeheuer wichtig!», sagt sie. Zu ähnlichen Ergebnissen kam auch der auf Fernbeziehungen spezialisierte amerikanische Psychologe Gregory Guldner, der feststellte, dass jene Paare, die es schaffen, den anderen am eigenen Leben teilhaben zu lassen und die gut miteinander kommunizieren können, auch in einer Fernbeziehung glücklich sein können. Diese Faktoren waren gemäss Studien von Gregory Guldner viel wichtiger als die Tatsache, wie häufig sich die Paare sehen konnten.
Was zählt im Leben
Gerade im Vertrieb ist man permanent unter Druck und es fällt nicht immer leicht, abzuschalten. Häufig ist es halt einfacher, nach einem anstrengenden Tag das Bier aus dem Kühlschrank zu holen, sich aufs Sofa zu fläzen und ein Spiel der Champions League anzuschauen, als sich noch die Probleme der Partnerin anhören zu müssen. Ich spreche da übrigens auch aus eigener Erfahrung.
Benedikt Weibel, ehemaliger SBB-Chef, erklärte in einem Interview in der Zeitschrift «Sie + Er» vom 07. 01. 2007, wie wichtig für ihn die Familie immer gewesen sei. Er meinte dazu: «Man braucht ein Gleichgewicht im Leben. Natürlich hatte der Beruf ein enormes Gewicht, und er nahm auch die meiste Zeit in Anspruch. Doch ich war mir immer bewusst, wenn ich einmal alt bin und zurückblicke, dann möchte ich lieber sagen können: Ich war ein guter Vater, als: Ich war ein guter Manager!»
Kurt jedenfalls hat es durchgezogen. Er ist heute geschieden. Der Grossteil seines Lohnes geht für Alimente drauf, die Hälfte der Pensionskasse hat er der Ex-Frau ausbezahlt und ihr auch noch das Haus samt Swimmingpool überlassen.
Er selber lebt in einer möblierten Absteige in Zürich West. Wenn er am Morgen im Stau steckt und aus dem Radio der Song «I don’t feel like dancin’» von den Scissor Sisters dröhnt, denkt er: «So ein Scheissleben!»
Der Autor
Markus Schefer (40) ist selbständiger Personalberater und verfügt über langjährige Vertriebserfahrung im In- und Ausland. Daneben ist der ausgebildete Primarlehrer Dozent für das Fach «Verkauf» an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Basel sowie Kolumnist im ITReseller für Vertriebs- und Managementthemen.
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