Finsterhennen ist ein kleines Dorf im Berner Seeland. Knapp 500 Einwohner zählt die Gemeinde, eine Hauptstrasse, viele Bauernhäuser und ein Bahnhof. Hier verkehrt eine Schmalspurbahn, von den Seeländern liebevoll «Moosrugger» genannt, welche die Stadt Biel mit der «Seelandmetropole» Ins verbindet. Kurz: Informationstechnologie ist sicher nicht das Erste, was einem in den Sinn kommt, wenn man Finsterhennen sieht.
Als Holger Jakob ein Jahr alt war, zogen seine Eltern von Düsseldorf hierher. Sein Vater, ein studierter Betontechniker, fand eine Stelle in der Betonfabrik Hunziker im nahe gelegenen Müntschemier. Er war verantwortlich für die Qualität der produzierten Betoneisenbahnschwellen, die in die ganze Schweiz geliefert werden.
In Biel absolvierte Jakob eine Lehre als Elektroniker und bildete sich am Technikum zum Informatik-Ingenieur weiter. Die erste Station seiner noch jungen Karriere war
Unisys. Danach folgten drei Jahre bei
Oracle, bevor er zum Speicherriesen EMC wechselte. «Zunächst war ich im Presales-Bereich für Storage-Systeme tätig», erinnert sich Jakob. Kurz nach seinem Stellenantritt übernahm er die Leitung eines Teams mit zehn Presales- Mitarbeitern. «2003 rollte dann eine Konsolidierungswelle über die Firma hinweg», so Jakob. Viele Stellen wurden gestrichen und er übernahm die technische Betreuung der Archivierungslösung «Centera». Das nach der Konsolidierung folgende Wachstum hat seine Spuren hinterlassen: Im Jahr 2007 verliess Jakob
EMC. Nachdem er während eines Jahres ein zwölfköpfiges Team im Kundenservice-Bereich geleitet hatte, verlor der 36-Jährige die Lust an seiner Arbeit. «Die zeitliche Belastung war so hoch, dass ich das Gefühl hatte, meinen Job nicht mehr richtig machen zu können.» Es sei nicht möglich, Leute zu führen, wenn man nach 130 Prozent Arbeit gerade mal das Tagesgeschäft erledigt habe, aber mit keinem Mitarbeiter länger als fünfzehn Minuten sprechen konnte, so Jakob.
Sichere Daten ohne Backup
Zu Beginn des letzten Jahres zog Holger Jakob die Konsequenzen und gründete die Firma «Holger Jakob Informatio». Seine Frau unerstützte ihn dabei. Sie habe halt auch gemerkt, dass es ihm bei
EMC nicht mehr gut gegangen sei, sagt Jakob. «Wenn man im Büro nicht zufrieden ist, schlägt sich das auch im Privatleben nieder.» Zunächst stellte Jakob seine Firma auf ein Standbein: Outtasking-Dienstleistungen rund um die EMC-Archivierungslösung Centera. Das Management des Archivmediums gibt nicht besonders viel Arbeit. «Das macht es für Firmen mit lediglich einem oder zwei Systemen unmöglich, die notwendige Kompetenz aufzubauen.»
In den ersten fünf Monaten hatte Holger Jakob noch nicht viel zu tun. «Es dauert eine gewisse Zeit, bis sich eine solche Dienstleistung herumspricht.» Das gab dem Ingenieur die Gelegenheit, über die Probleme seiner Kunden nachzudenken und nach weiteren Geschäftsideen zu suchen. So entstand eine Lösung, die Jakob unter dem Namen «Delayed Deletes» in Europa und Amerika zum Patent anmelden liess. Es handelt sich um eine Software, die eine Wiederherstellung gelöschter Daten ohne vorgängige Datensicherung möglich macht. «Wenn man ein dual ausgelegtes System hat, macht es aus Gründen der Sicherheit Sinn, wenn die Replikation der Daten vom ersten auf das zweite Device in Echtzeit ausgeführt wird», so Jakob. Was aber, wenn ein Dokument versehentlich gelöscht wird? Mit «Delayed Deletes» können einzelne Replikationsfunktionen gezielt verzögert werden. So ist es möglich, dass Änderungen in einem Dokument sofort auch auf dem zweiten System festgehalten werden, während das Löschen einer Datei auf dem ersten System erst mit einer zeitlichen Verzögerung auch auf dem zweiten durchgeführt wird. «So kann ich während einer gewissen Zeit eine Datei wiederherstellen, ohne dauernd Backups machen zu müssen», erklärt Jakob die einfache, aber geniale Idee.
Customer- statt Shareholder-Value
Der Vertrieb der Software wird das zweite Standbein seiner Firma. «Nur mit dem Remote-Management von Centera-Systemen kann man nicht drei oder vier Leute beschäftigen.» Holger Jakob Informatio soll wachsen. Im Sommerhalbjahr will Jakob einen ersten Mitarbeiter anstellen. «Das Schönste daran, selbständig zu sein ist, dass man verändern kann, was einen stört», so Jakob. So will er sein Unternehmen, anders als es bei grossen Konzernen wie
Oracle oder
EMC der Fall ist, nicht am «Shareholder Value», sondern am «Customer Value» ausrichten. Man müsse nicht zwangsläufig jedes Jahr mehr Geld einnehmen, ist Jakob überzeugt. «Es reicht doch, wenn man gute Löhne, Sozialleistungen und die Infrastruktur bezahlen kann.» Natürlich sei die Versuchung gross, gibt er zu, die Software 20 Prozent teurer anzubieten, wenn sie auch dann gekauft wird.
Zuletzt hatte er bei EMC das Gefühl, die Kundenwünsche nicht mehr gänzlich erfüllen zu können. «Man hörte dem Kunden einen halben Tag lang zu und machte dann das, was man glaubte, verstanden zu haben», so Jakob. Manchmal müsse man einem Kunden länger zuhören, um seine Probleme zu lösen.
Wenn Jakob seinen Kopf nach einem langen Tag im Büro lüften muss, joggt er mit seinem Hund durch das grosse Moos. Das sei das Schöne am Leben auf dem Land, findet er. «Hier kannst du jede Woche dieselbe Strecke rennen und trotzdem sieht es immer anders aus.» Auch am Dorfleben nimmt er Anteil. Er ist in der Männerriege, in der Feuerwehr und im Dorfverein. Die übrige Zeit verbringt er mit seiner Familie. Obwohl Jakob erst 36 Jahre alt ist, hat er vier Söhne im Alter von acht, neun, elf und dreizehn Jahren. Er wusste schon mit achtzehn, dass er viele Kinder haben wolle. «Und dass ich früh damit anfange. Es ist für mich eine Horrorvorstellung mit 45 von einer Horde pubertierender Kinder umgeben zu sein.»
Holger Jakob
Holger Jakob kam als Baby mit seinen Eltern von Düsseldorf in die Schweiz. Sein Vater, ein studierter Betontechniker, fand eine interessante Stelle in einer Betonfabrik im seeländischen Müntschemier. Jakob selber studierte Informatik in Biel und arbeitete unter anderem bei
Unisys,
Oracle und
EMC, bevor er sich mit seiner Firma Holger Jakob Informatio selbständig machte. Er ist verheiratet und hat vier Söhne im Alter von acht, neun, elf und dreizehn Jahren. Mit seiner Familie wohnt er in Finsterhennen im Berner Seeland, wo auch seine Firma zuhause ist. Er joggt gerne mit seiner Golden-Retriever-Hündin Kira und ist in der Feuerwehr und in der Männerriege aktiv.