Hohe Stirn, knallblaue, schalkhafte Augen und eine Ruhe, die der wirtschaftlichen Situation auf den ersten Blick nicht angemessen ist: Adnovum-CEO Ruedi Wipf fehlen nicht nur der Pessimismus und die Hektik, die man vom CEO eines mittelgrossen Technologieunternehmens erwarten kann, das viele Kunden im momentan arg gebeutelten Finanzsektor hat. Auch die in der Branche obligate Krawatte fehlt an diesem Interviewmorgen, der kürzer ist als vorgesehen, weil Wipf am Nachmittag noch einen Vortrag am Berner E-Government-Symposium halten muss: «Seit der Finanzkrise haben wir ja zusehends mehr Kunden beim Bund», sagt er trocken; nur ein dezentes Lächeln verrät die Ironie seiner Aussage. Die vom Bund gerettete UBS ist seit Jahren einer der grössten Auftragsgeber von Adnovum. Wipf beschreibt seine Mitarbeiter als humorvolle Menschen mit einem Hang zur Ironie, die sich selber nicht allzu ernst nehmen. Ist das nötig, wenn man im Hochfinanz-Umfeld Geschäfte tätigt? Wipf dazu: «Etwas weniger Ernst und ein bisschen mehr Humor tun überall gut. Wichtig ist, dass sich die Mitarbeiter wohlfühlen und so geben können, wie sie sind.»
Consulting ohne Übermut
Wipf kann da aus eigener Erfahrung sprechen; nicht immer hat er sich bei der Arbeit so wohl gefühlt wie bei seiner jetzigen Stelle. Der erste Arbeitgeber nach seinem Informatikstudium an der ETH Lausanne war eine europaweit tätige Informatik-Beratung, wo er ab 1995 während zwei Jahren als Consultant angestellt war. Ein Jahr lang hat er dabei in Berlin für eine grosse Bank gearbeitet: «Unser Dresscode war ein klassischer, schwarzer Anzug, zugeknöpftes Hemd und Krawatte. Mit dem Erscheinungsbild wollte man das Bild des effizienzorientierten Reformers rüberbringen und so auch die hohen Tagessätze rechtfertigen.» Bald merkte er, dass ihm der technik-orientiertere Ansatz von Adnovum mehr zusagte.
Also stieg er 1998, als Adnovum noch lediglich 20 Mitarbeiter beschäftigte, als Software-Entwickler ein, stieg zum Projektleiter auf und wurde schon bald zum Chief Operating Officer befördert. «Ich war sozusagen die rechte Hand von Inhaber Stefan Arn und habe dabei einiges über Unternehmensführung gelernt», so Wipf. Währenddessen belegte er ein viersemestriges, berufsbegleitendes Zusatzstudium an der Hochschule St. Gallen, das sich an angehende Führungskräfte von KMU richtet. Vom Maler bis zum IT-Entwickler waren da alle möglichen Leute am Studieren, so Wipf: «Spannend war vor allem, dass es sich ausschliesslich um Fachleute handelte. Da fühle ich mich auch zuhause. Ich halte nicht viel von Betriebsökomomen, die nur aufgrund von Theorien irgendwelche Visionen entwickeln, die oft an den wirklichen Problemen vorbeizielen».
Mit nichts nach Ungarn
Das praxisorientierte Studium sei eine optimale Vorbereitung für den nächsten Karriereschritt gewesen: Kaum hatte er den Abschluss in der Tasche, wurde er 2003 mit dem Aufbau einer Entwicklungs-Abteilung in Ungarn beauftragt: «Mein Rucksack war mit dem nötigen Wissen gefüllt, um dieses Abenteuer anzugehen.» Ein kurzer Crashkurs in Ungarisch, einer für Ausländer sehr schwer erlernbaren Sprache, musste reichen: «Ich konnte nicht viel mehr als nach der Richtung fragen. Das war aber nicht so schlimm, wir suchten sowieso Entwickler, die gut englisch und deutsch sprachen», so Wipf. Davon gebe es in Ungarn genug, denn zahlreiche deutsche Firmen aus Industrie, Chemie und Logistik produzieren ebenfalls in der mitteleuropäischen Republik. Trotzdem ist Ungarn aus verschiedenen Gründen als spannende und herausfordernde Zeit in Erinnerung geblieben: «Wir haben mit nichts angefangen: ein Büro, ein Computer, zwei Stühle. Das war unsere Basis.» Heute arbeiten 45 Informatiker in der Hauptstadt Budapest. Wipf blieb vier Jahre lang, drei Jahre als CEO der Niederlassung. Beide Kinder kamen in Ungarn zur Welt. «Das führte dazu, dass meine Frau heute viel besser ungarisch spricht als ich. Auf den Spielplätzen ist Englisch und Deutsch nicht so verbreitet wie in der Geschäftswelt.»
Per Telefon zum Chef ernannt
Eines Tages klingelte das Telefon in Ungarn und Inhaber Stefan Arn kündete eine Frage an, die Wipf mit Ja beantworten müsse. Wipf wusste, dass er soeben das Angebot erhalten hatte, Adnovum als CEO zu führen. «Ich habe nicht lange gezögert», sagt er. Heute führt der Ingenieur 175 Mitarbeiter. «Wir werden weiter ausbauen, unsere Leute mussten im Sommer Überstunden leisten; das geht auf lange Zeit nicht gut. Ausserdem versuchen wir mit den Schweizer Banken nach Asien zu expandieren; insbesondere Hongkong und Singapur schauen wir uns genauer an.» Adnovum ist im Besitz der Ihag, einer Familienholding der ehemaligen Oerlikon-Bührle-Besitzer, und macht etwa 30 Millionen Franken Umsatz jährlich. «Wir arbeiten weiter an der Industrialisierung der Software-Entwicklung», sagt Wipf und packt seine Sachen für das E-Government-Symposium zusammen. «Es wird immer noch zu viel Geld für unkoordinierte Informatikprojekte ausgegeben; man kann noch einiges effizienter gestalten. Dazu brauchen wir aber endlich verlässliche Standards.» Und er, bis es soweit ist, bestimmt die eine oder andere Prise Humor.
Ruedi Wipf
Ruedi Wipf, 38, ist im bernischen Fraubrunnen aufgewachsen. In der Region absolvierte er das Gymnasium, wo er seine jetzige Ehefrau kennenlernte. Danach studierte er Informatik an der ETH Lausanne, und verdiente sein erstes Geld mit Programmierjobs für die Schweizerische Landesbibliothek, womit er die digitale Produktion des «Schweizer Buches» der Schweizerischen Nationalbibliografie, vorantrieb. Nach dem Studium arbeitete Wipf während zwei Jahren für einen europaweit tätigen Informatik-Consultant und fing 1998 bei Adnovum als Software-Entwickler an. Schnell stieg er zum Projektleiter und COO auf, belegte einen Managementkurs für KMU an der Universität St. Gallen, bevor er 2003 mit dem Aufbau der ungarischen Tochtergesellschaft in Budapest betraut wurde. Im Juli 2007 löste er Adnovum-Gründer Stefan Arn als CEO ab. Ruedi Wipf wohnt mit seiner Frau - Mitautorin des «Anderen Hotelführers» und Umweltnaturwissenschaftlerin - und seinen zwei Kindern in Aarau. Seine Hobbys, vor allem Sport (am liebsten in den Bergen), bleiben im Moment etwas auf der Strecke, denn er verbringt seine Freizeit lieber mit der Familie. Seine Kinder sind vier und zweieinhalb Jahre alt. (Claudio De Boni)