Der Aufschwung beginnt im Bauch

Erfolgreich im Verkauf zu sein heisst für viele, mit Kalkül die eine Strategie zu wählen, CRM-Systeme zu nutzen und zielgerichtet Verhandlungen zu führen. Dies mag in vielen Fällen zumindest nicht falsch sein, solange die Intuition nicht zu kurz kommt. Verkäufer, die auf den Bauch hören, liegen oft richtig.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2009/10

     

Ein Torwart, der beim Penalty geistesgegenwärtig in die richtige Ecke hechtet. Die Zebras, welche unruhig mit den Hufen scharren, weil sie spüren, dass in der Nähe ein Löwe auf der Lauer liegt. Oder zwei Menschen, die sich zum ersten Mal begegnen und sich auf Anhieb sympathisch sind. All diese Beispiele demonstrieren intuitives Verhalten. Doch was ist eigentlich Intuition? Bei Wikipedia lässt sich dazu folgendes nachlesen: Die Intuition ist die Fähigkeit, Einsichten in Sachverhalte ohne diskursiven Gebrauch des Verstandes zu erlangen. Weniger abstrakt formuliert liesse sich Intuition auch schlicht als ein spontanes Erfassen einer Situation oder eines Geschehens definieren.

Aber wie ist so etwas überhaupt möglich? Neuropsychologen haben dafür folgende Erklärung: Nur ein verschwindend geringer Teil der Informationen, welche auf uns hereinprasseln, werden vom Gehirn bewusst verarbeitet. Der weitaus grösste Teil der Daten aber wird im Unterbewusstsein gespeichert. Begreifen wir einen Sachverhalt plötzlich ohne grosses Nachdenken, so hat sich der Schleier des Unterbewusstseins für einen kurzen Moment gelüftet, und wir haben Zugang zu diesen verborgenen Eindrücken und Erfahrungen.


Es ist nicht erstaunlich, dass in der heutigen technologisierten und rationalen Welt Bauchentscheidungen oft als esoterischer Humbug abgetan werden. Der Grund dafür liegt wohl in der Zeit der Aufklärung. Damals überwanden die Menschen nämlich ihren irrationalen Aberglauben und begannen sich auf den Verstand zu verlassen. Und deshalb hat uns seit dieser Zeit die Ratio fest im Griff, wie auch die deutsche Psychologin Maja Storch in diversen Publikationen zum Thema Intuition immer wieder festhält. So wird ihren Erkenntnissen zufolge heute der Verstand oft derart übergewichtet, dass die Menschen erst wieder lernen müssen, mit ihren Gefühlen oder körperlichen Reaktionen umzugehen.

Intuition und Spiel

Dass Intuition nichts mit Hokuspokus und Scharlatanerie zu tun hat und auch leistungshungrigen Menschen die Möglichkeit bietet, noch erfolgreicher zu werden, scheint in gewissen Sportarten wie dem Volleyball längst bekannt zu sein. So fördert beispielsweise der Volleyball-Coach Chris­tian Zeyfang bewusst intuitive Elemente im Spiel. Damit wird der Spielwitz gefördert, und es kann im Bruchteil einer Sekunde erlerntes Wissen instinktiv abgerufen werden.


In dem vom ihm verfassten Artikel mit dem Titel «Intuitives Spielen» geht er eingehend auf die Faktoren ein, welche intuitives Spielen erst ermöglichen (siehe in der Grafik die hellblauen Kreise). So ist beispielsweise das Vertrauen in die gemachten Erfahrungen und der daraus resultierende Mut ein wichtiger Aspekt, welcher intuitives Spielen überhaupt erst möglich macht. Wenn in einem so kompetitiven Umfeld wie dem Sport Intuition gezielt gefördert wird, so müsste man sich überlegen, ob nicht gerade auch im Vertrieb diese Kompetenz vermehrt gezielt genutzt werden müsste, so dass Bauchentscheidung auch hier künftig mehr Platz hätten.

Kreatives Umfeld schaffen

Viele Verkäufer beklagen sich darüber, dass sie von ihren Vorgesetzten dazu angehalten werden, sämtliche Aktivitäten im firmeninternen CRM-System einzutragen. So gut und wichtig diese Werkzeuge als Führungsinstrument auch sein mögen, so können sie mitunter den Verkäufer in der kreativen Ausübung seines Berufes behindern. Es sind aber genau diese künstlerischen und kreativen Aspekte, welche Intuition erst ermöglichen. Wer als Ziel den gläsernen Verkäufer vor Augen hat, der wie ein ferngesteuerter Roboter auf die Kunden losgelassen wird, schreckt damit jene Verkäufer ab, welche ihre Entscheidungen vor allem aus dem Bauch heraus treffen.

Es sind aber oft genau diese Vertriebsmitarbeiter, die auf Grund ihres Gespürs, ihrer Verkaufserfahrung und Instinktsicherheit mit überdurchschnittlichen Erfolgen auf sich aufmerksam machen. Denn sie haben im Laufe ihrer Karriere über lange Zeit Abläufe gespeichert und automatisiert, welche sie ähnlich wie beispielsweise ein Volleyballspieler im entscheidenden Moment wieder blitzschnell abrufen können und so in einer Kundensituation situativ richtig reagieren. Diesen Verkäufern dann erklären zu wollen, warum sie etwas, was sich für sie über viele Jahre bewährt hat, jetzt anders machen zu müssen, kann nicht nur demotivierend, sondern sogar schädlich sein.


Zu diesem Ergebnis kommt auch Gerd Gigerenzer, Autor des Buches «Bauchentscheidungen». Er meint in einem Artikel des Tages-Anzeigers vom 4. Dezember 2007 unter anderem: «Wenn sich der in Führung liegende Tennisspieler fragt, wieso der erste Aufschlag heute so gut funktionierte, gefährdet er seinen Sieg.» Die Tatsache, dass viele erfolgreiche Verkäufer gar nicht so recht erklären können, warum sie erfolgreich sind, mag wohl eben auch damit zu tun haben, dass sie instinktiv das Richtige tun, ohne gross darüber nachzudenken.

Die Psychologin Ruth Cohn geht davon aus, dass Intuition ein menschliches Talent ist und schliesst daraus, dass demnach Intuition wie alle anderen Talente des Menschen gefördert werden können. Zwar steckt die Forschung in diesem Bereich noch in den Kinderschuhen. Doch scheint sich mittlerweile auch in der Wirtschaft immer mehr die Erkenntnis durchgesetzt zu haben, dass ein ganzheitlicherer Einbezug von Kopf und Bauch letztlich auch zu besseren Resultaten führt. Die Ausschöpfung der eigenen kreativen Ressourcen und die damit verbundene Freilegung der eigenen Intuition sollten auch im Vertrieb im Interesse jedes Unternehmens liegen.

Der Autor

Markus Schefer (41) ist selbständiger Personal- und Unternehmensberater. ­Daneben ist der ausgebildete Primarlehrer Dozent für das Fach «Verkauf» an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Basel. Er verfügt über langjährige Vertriebserfahrung im In- und Ausland, unter anderem bei IBM und Reuters.
www.scheferpersonal.ch
markus@scheferpersonal.ch

Das nächste Mal

Waren bis vor kurzem nur wenige IT-Verkäufer arbeitslos, so kann es momentan selbst erfolgreiche Verkäufer und Führungskräfte treffen. Was soll man tun, damit man bei einem Job-Verlust schnell wieder auf dem Arbeitsmarkt Fuss fassen kann? Erfahren Sie mehr darüber im ­nächsten Heft.


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