Ein Kollege von mir hat Ende der 90er Jahre eine teure Pilotenausbildung absolviert. Auf meine Frage hin, warum er denn diese jahrelangen Strapazen auf sich nehmen würde, erwiderte er: «Ehrlich gesagt erhoffe ich mir, in einer schicken Pilotenuniform mehr Erfolg bei den Frauen zu haben.» Ich habe mich damals über seine Antwort zunächst köstlich amüsiert, bis ich dann realisiert habe, dass es ihm absolut ernst war mit seiner Aussage. Mitunter klafft zwischen dem, was man sich insgeheim von einem Job erhofft, und der Wirklichkeit ein grosses Loch. Diese Erfahrung machen auch Vertriebsmitarbeiter: Da sie des ständigen Quotendrucks überdrüssig sind und keine Lust mehr auf die mühselige Akquise von Neukunden haben, suchen sie ihr Heil in der Selbständigkeit. Meine Beobachtungen zeigen, dass gerade Verkäufer um die 50 sehr offen sind für solche Ideen, versprechen sie sich von diesem Schritt doch zumeist mehr Freiheit und nicht zuletzt auch ein höheres Gehalt. Selbst wenn es ihnen am notwendigen Kapital fehlt, lassen sie sich von ihrem Vorhaben nicht abbringen und plündern stattdessen lieber ihre Pensionskassengelder.
Oft ist die Anfangseuphorie jedoch schnell verflogen und die Jungunternehmer landen mit aller Härte auf dem Boden der Realität. Das Entwerfen des neuen Logos und das Erstellen der eigenen Homepage machen ihnen zunächst zwar grossen Spass. Doch diese kreativen Tätigkeiten sind bei einer Firmengründung nur der Anfang. Was danach folgt, ist nämlich harte Knochenarbeit, geht es jetzt doch darum, sein Produkt und seine Dienstleistungen unter die Leute zu bringen. Hatte man früher vielleicht einen starken Brand und eine schlagkräftige Marketing-Abteilung im Rücken, dank derer einem das Akquirieren leichter fiel, steht man jetzt plötzlich ganz alleine da. Spätestens jetzt beginnt es den frischgebackenen Unternehmern zu dämmern, dass ihre verkäuferischen Qualitäten, denen sie mit ihrer Selbständigkeit eigentlich ja entfliehen wollten, nun noch stärker gefragt wären als vorher. Immer wieder erlebe ich es darum, dass Verkäufer, welche den Schritt zum Unternehmertum gewagt haben, nach gut einem Jahr bei mir wieder als Kandidaten anklopfen. Reumütig lassen sie im Interview durchblicken, dass sie den permanenten Druck, die hohe Arbeitsbelastung, welche auch vor den Wochenenden nicht Halt macht, sowie das mühselige Türklinkenputzen völlig unterschätzt haben. Es ist durchaus legitim, sich von seinen eigenen Illusionen zu verabschieden. Manchmal frage ich mich jedoch, ob es im Fall der betroffenen Verkäufer nicht besser gewesen wäre, sich anstelle einer Selbständigkeit ein Time Out zu gönnen, um sich in Ruhe zu überlegen, wie man die restlichen zehn bis fünfzehn Jahre des beruflichen Lebens sinnbringend gestalten möchte. Durch eine solch überlegte Vorgehensweise wäre nämlich wohl so manchem Protagonisten klar geworden, dass sein Bedürfniss nach Sicherheit, der Wunsch nach mehr Freizeit und weniger Stress sowie die eigene Unlust, neue Kunden zu akquirieren, sich mit einer Tätigkeit als selbständig Erwerbender nicht vereinbaren lassen.
Markus Schefer
Markus Schefer ist selbständiger Personal- und Unternehmensberater und Dozent an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Basel für das Fach
«Verkauf». markus@scheferpersonal.ch
(ms)