Das Schweizer KMU
Proffix Software scheint über zufriedene Mitarbeiterinnnen und Mitarbeiter zu verfügen. Denn im Mai letzten Jahres wurde der Betrieb zu einem «Great Place to Work» in der Kategorie «mittelständisch» gekürt. Diese Zertifizierung besagt, dass sich die Mitarbeiter der entsprechenden Firma wohlfühlen, dass eine vertrauensvolle Atmosphäre herrscht und die Führungskräfte ihre Teams auf Augenhöhe führen. Proffix Software wurde 2001 gegründet, die Firma entwickelt und vertreibt eine gleichnamige ERP-Software für KMU. Das Unternehmen verfügt über zwei Standorte: In Wangs (SG) befindet sich der Hauptsitz sowie das Entwicklungszentrum, zusätzlich gibt es noch eine Niederlassung in Wetzikon (ZH). Wie ist es dem KMU gelungen, die Auszeichnung «Great Place to Work» zu erlangen? Jürg Danuser, unter anderem Entwicklungsleiter bei Proffix und seit acht Jahren im Betrieb: «Wir wollten eigentlich in erster Linie eine Mitarbeiterumfrage machen, das geht mit dem Fragebogen von ‹Great Place to Work› super und wir hatten eine sehr hohe Rücklaufquote.» Er glaubt, dass die Auszeichnung nicht hauptsächlich auf Dinge wie Home Office oder Workation zurückzuführen sind, sondern es gehe um emotionale Sicherheit, um Soft Skills. «Es geht um das Gefühl: Egal, was auf mich zukommt, privater oder beruflicher Natur, wir werden zusammen eine Lösung finden.» Er glaube, das definiere einen «Great Place to Work», und nicht eine 10-Punkte-wie-deine-Mitarbeiter-glücklich-werden-Liste. Proffix habe schon früher immer darauf geachtet, die Probleme der Menschen zu lösen. Ob das nun bedeutet, dass Mitarbeitende im Workation-Modell im Ausland arbeiten – solange es rechtlich möglich ist –, damit sie ihre Familie besuchen können, ob es um ein Firmenauto oder um Familienplanung geht.
«Am Anfang war es relativ hart»
Etwas über 20 Jahre nach der Gründung des KMU und nur wenige Monate nach der «Great Place to Work»-Auszeichnung, wurde
Proffix Software im August 2023 an Forterro verkauft. Forterro ist ein europaweit tätiger ERP-Spezialist mit Hauptsitz in London und fokussiert auf den Industriesektor. Drei Monate später trat Jürg Danuser, der bis dahin langjähriges Mitglied der Geschäftsleitung und CTO bei Proffix war, die Position des Entwicklungsleiters bei Proffix und Myfactory an (Myfactory gehört seit 2021 ebenfalls zu Forterro). Danuser führt 20 Mitarbeitende, die teilweise in Wangs und teilweise in München tätig sind.
«Swiss IT Reseller» traf Danuser am Proffix-Standort in Wetzikon und wollte wissen, was sich seit dem Verkauf für das Schweizer KMU verändert hat und ob beziehungsweise wie es gelingen kann, dennoch seine Schweizer Mentalität zu behalten. «Am Anfang war es relativ hart, ich war bis dahin nur in KMU unterwegs und es gewohnt, zum CEO ins Büro zu gehen und zu sagen: ‹Wir müssen einen Kaffee zusammen trinken, es ist dringend›». Wenn der Forterro-CEO in London arbeitet, ist das natürlich schwierig. «Der Kulturwandel benötigte etwas Zeit und den mussten sowohl die Mitarbeitenden als auch ich ein bisschen verkraften.» Forterro entstand aus verschiedenen Software-KMU und der Alltag bei Forterro sei vom KMU-Mindset geprägt. «Da passt Proffix gut dazu», findet Danuser. «Wie in jedem Unternehmen gibt es auch bei Forterro Leitplanken und Richtlinien. Aber Forterro lässt Diskussionen darüber zu und versucht, den besten Weg zu finden.»
Proffix, das gallische Dorf?
Doch wie behält man als kleine Schweizer Firma in einem europäischen Unternehmen mit über 1600 Mitarbeitenden seine Identität bei? Danuser bemüht kurz das Bild des gallischen Dorfes aus Asterix, das von römischen Lagern umgeben ist. Er beschreibt
Proffix als Schweizer KMU-Zelle und rund herum sind alle in der EU. «Für die im gallischen Dorf ist es einfach», schmunzelt er. Doch dann wird er ernst: «Es geht nur miteinander und die Schweiz ist keine Insel, weder Arbeitsmarkt- noch ERP-technisch noch politisch», sagt Danuser. Bei Proffix habe man das immer gelebt, man musste seit jeher mit der Umgebung interagieren.
Auch in «seinem» Entwicklungsteam sieht er keine allzu grossen Unterschiede. «Leute in Süddeutschland und der Ostschweiz sind sich recht ähnlich», sagt Danuser lapidar. Die Schweizer KMU-Wurzeln würden sich jetzt mit dem grösseren Konstrukt von Forterro vernetzen. Proffix initiiere aber auch viel selber. «Mit Proffix haben wir sehr viele Sachen ausprobiert und Forterro lässt das ebenfalls zu», so Danuser. Zum Beispiel wurden schon Mitarbeitergespräche während einer Wanderung durchgeführt. Er sei jemand, der viel anreisse und Forterro müsse eher etwas bremsen, als zu pushen.
Bei Mitarbeiterevents stehen nicht immer nur gemeinsames Essen oder Lasertag auf dem Programm. Zuweilen wird auch zusammen eine Wanderung unternommen. (Quelle: Proffix)
Hybrid unterwegs
Bei
Proffix ist es grundsätzlich möglich, hybrid zu arbeiten. Einerseits stellt Forterro jeder Mitarbeiterin und jedem Mitarbeiter einen Arbeitsplatz zur Verfügung. Rund die Hälfte der Arbeitsplätze ist laut Danuser fix zugeordnet für jene Mitarbeitenden, die meistens im Büro arbeiten. Die restlichen Schreibtische sind Springer-Plätze. Laut Jürg Danuser können alle bei der Ausstattung mitreden. Andererseits ist es möglich, Home Office zu machen. Offizielle Regeln dazu gibt es nicht. In der Entwicklung, in Wangs, arbeiten die Mitarbeitenden meist zwei Tage pro Woche im Büro. «Wir motivieren die Mitarbeitenden schon sehr stark, ins Büro zu kommen, denn das Miteinander ist uns wichtig», sagt Danuser. Es fördere den Team-Zusammenhalt und die Identifikation mit dem Unternehmen. Doch wenn die Mitarbeitenden ins Büro kommen, muss es nicht immer zwingend harmonisch zu und her gehen. «Es braucht manchmal auch etwas Reibung – es ist nicht immer alles ‹Sünneli und Blüemli›», findet Danuser. Und diese Reibung geschehe in einer freundschaftlichen Umgebung, auch mal beim Kaffee trinken oder zusammen Joggen gehen.
Weitere Motivationsfaktoren, um die Mitarbeitenden ins Büro zu holen, sind zum Beispiel kostenlose Getränke, Früchte, je nach Standort regelmässig «Schöggeli» oder der «Znüni», der circa einmal die Woche von der Firma gekauft wird. Die Sitzungsräume sind laut Danuser hardwaremässig «anständig» ausgestattet. Ausserdem gibt es Möglichkeiten, sich zwischendurch zu «verschlüüfe», also zurückzuziehen. In Wetzikon, wo das Interview stattfand, gibt es hierzu zum Beispiel eine Hängematte oder eine Holztreppe mit Sitzkissen.
Doch hybrides Arbeiten ist bei Forterro ebenso verbreitet. «Mein Team ist ja fast gezwungen, ein bisschen hybrid zu leben.» Da das Team verteilt ist, kann dadurch Zeit und Reiseweg eingespart werden. Doch nebst hybridem Arbeiten legt Danuser auch bei der Zusammenarbeit auf Distanz Wert auf den persönlichen Kontakt: Ungefähr alle zwei Wochen treffen sich alle, im Wechsel mal in der Schweiz, mal in Deutschland.
Keine Quotenfrauen, lieber Nachwuchs fördern
Der Familienvater Danuser erwähnt beim Stichwort Familienfreundlichkeit, dass man heute, also nach dem Verkauf an Forterro, sogar mehr Flexibilität habe bei der Arbeitszeit als vorher bei
Proffix. Wie an den meisten Orten hänge es vom Chef ab. Er könne seine Zeit flexibel einteilen, unter anderem auch rund um seine Tätigkeit als Informatik-Dozent im Nebenamt. Das komme daher, dass das Unternehmen eher zielorientiert arbeite als auf physische Anwesenheit zu setzen.
Beim Stichwort Frauenförderung verdreht er zunächst die Augen. «Das Ziel ist, ganz viele Blickrichtungen zu haben – und da zählen Frauen auch dazu. Ich habe mir geschworen, es gibt keine Quotenfrauen, sondern ich nehme die besten», sagt Danuser. Und das Schöne bei der Softwareentwicklung sei, dass sie total unabhängig vom Geschlecht sei. In diesem Bereich sei Nachwuchs generell ein Problem und Frauen hätten da sehr gute Chancen, einen Job zu bekommen. Im Produktemanagement sei man in seinem Team gut aufgestellt, da beträgt der Frauenanteil ungefähr 30 bis 40 Prozent, in der Entwicklung seien es jedoch weniger.
Dann erzählt er von einer Mitarbeiterin, die ein Teilzeit-Geschäftsleitungsmitglied war und Mutter wurde. «Wir haben sie förmlich angefleht, sie möge nach der Mutterschaftspause wieder in den vorherigen Job zurückkommen.» Heute ist sie laut Danuser auf dem Fachkarriere-Track von Forterro auf der höchsten Stufe in der ganzen Schweiz.
Daneben engagiere man sich auch an einem anderen Ort. Danuser ist in seiner Freizeit in der Ostschweiz Chefexperte für die Informatiker-EFZ-Lehre. Dort probiere er, Vorurteile abzubauen, dass mehr junge Frauen in die Ausbildung beziehungsweise danach in den Beruf kommen. «Wenn sie dann mal ausgebildet sind, nehmen sie alle mit Handkuss.»
Bodyflying und Lasertag
Zum Thema Events sagt Danuser: «Forterro hat eine sehr starke Event-Kultur». Beispielsweise werden Events mit der Entwicklung und PRD (Product Research and Development) Deutschland und Polen sowie anderen durchgeführt. Mit dabei sind vier Firmen, drei arbeiten mit ähnlichen Technologien. Da gebe es viel Raum für Austausch. Gemeinsam sei man kürzlich ein paar Tage nach Karlsruhe gereist, habe an den eigenen Strategien gefeilt. Und dies jeweils mit gemeinsamen Essen oder Lasertag kombiniert. «Einige wohnen in Karlsruhe, doch sie gingen nicht heim, sondern waren auch mit uns im Hotel», beschreibt Danuser den Team-Spirit. Weihnachtsfeiern gibt es standortweit, aber diese wurden jetzt in Wetzikon zusammengenommen. Die Ideen kommen laut Danuser von den Mitarbeitenden, beispielsweise macht man gemeinsam eine Bergtour, geht in einen Escape Room oder macht Bodyflying zusammen.
Zwei Karrierewege seit Forterro
Auf der Forterro-Ebene gibt es einerseits die interne Weiterbildung zum Thema mentale Gesundheit. Diese ist freiwillig. Hierfür wurde im HR eine Person eingestellt, die die Mitarbeitenden ins Thema einführt, beispielsweise Meditieren, Umgang mit Stress und so weiter. Andererseits gibt es Weiterbildungen auf der Führungsebene. Kürzlich wollte jemand eine Weiterbildung zum Scrum-Master machen. Das sei kein Problem gewesen und er musste weder die Kosten übernehmen noch sich verpflichten. «Es gibt keine starre Regelung, es muss einfach Sinn fürs Unternehmen machen», findet Danuser.
Und was ist denn nun besser für die Karriere: Vorher bei
Proffix oder jetzt mit Forterro? «Forterro erhöht sogar die Karrierechancen, denn Forterro erkennt mehrere Karrierewege an. Für uns am relevantesten sind die Fachkarriere (Professional) sowie die Führungskarriere (Leadership).» Beide seien ebenbürtig. «Dies konnten wir als KMU mit rund 50 Mitarbeitenden nicht in der gleichen Weise anbieten».
Abschliessend fasst Danuser nochmals zusammen, wie es ist, für Forterro zu arbeiten. «Bei Forterro kannst du jede Regel diskutieren», betont er. Das sei etwas, das er von vorher bei Proffix kenne. «Wenn man sagt: Diese Regel macht keinen Sinn», dann sei es möglich, gemeinsam eine «bessere» Lösung zu finden.
(cma)
Zum Unternehmen
Proffix Software vertreibt seine gleichnamige Schweizer ERP-Software für KMU über rund 40 Vertriebspartner in der Deutschschweiz. Die Mitgründer Baldassare Nastasi ("Bano") und Robert Caduff programmierten ursprünglich als erstes Proffix-Modul die Finanzbuchhaltung. Zusammen mit Guy Thouin als Aktionär erfolgte 2001 die Gründung des Unternehmens und mit Peter Herger wurde ein junger Geschäftsführer als Mitinhaber an Bord geholt, der das Unternehmen bis zum Verkauf über 20 Jahre leitete und prägte. Noch heute ist der Proffix-Hauptsitz im sankt-gallischen Wangs, zudem verfügt das Unternehmen über eine Niederlassung in Wetzikon (ZH). Nach 20 Jahren wurde Proffix im Sommer 2023 von Forterro gekauft. Forterro ist ein europäischer Anbieter von Softwarelösungen. Das Unternehmen, das 2012 gegründet wurde, hat derzeit über 1600 Mitarbeitende und investiert strategisch in industrielle Software-KMU, die einen Partner suchen, um zu wachsen.