Frechheiten: Digitalisierungswüste Berufsbildung
Quelle: ICT-Berufsbildung Schweiz

Frechheiten: Digitalisierungswüste Berufsbildung

von Serge Frech, Geschäftsführer, ICT-Berufsbildung Schweiz

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2023/07

     

In vielen Schweizer Branchen und Unternehmen herrschen traditionelle Arbeitsweisen und bewährte Praktiken vor. Wird dadurch der digitale Wandel langsamer vonstattengehen als in anderen Ländern? Stimmt das Argument, dass in der Schweiz nicht genügend Investitionen in die digitale Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitenden getätigt werden? Das Kompetenzzentrum für Digitalisierung und Innovation von ICT-Berufsbildung Schweiz berät Organisationen der Arbeitswelt, Trägerschaften für eidgenössische Prüfungen, Branchenverbände und Verwaltungen. Erkenntnisse aus diesen Beratungen bringen ans Licht, wie und wo der Schuh drückt. Niemand stellt heute in Abrede, dass Wissensabfrage in Prüfungen von gestern ist. Bei eidgenössischen Berufsprüfungen und höheren Fachprüfungen sollen Kandidatinnen und Kandidaten ihre Handlungskompetenzen unter Beweis stellen. Dies auf der Grundlage konkreter Arbeitssituationen und mithilfe im Arbeitsalltag eingesetzter Instrumente und Hilfsmittel. Die Prüfungsumgebung soll die Herausforderungen der Arbeitsrealität wiedergeben. Die heutige Technologie ermöglicht digitale Prüfungssettings, welche stark kompetenz- und handlungsorientiert umgesetzt werden können.


Wo drückt denn nun der Schuh und wieso bereitet er Schmerzen? Die sehr komplexe Regulierungslandschaft verhindert in der Berufsbildung den Einsatz von neuen digitalen Technologien, marktwirtschaftlichem Handeln und digitale Geschäftsmodelle. Das ist der Hauptgrund, warum Berufsbildungsverbände davon abgehalten werden, innovative digitale Lösungen zu implementieren und den digitalen Wandel voranzutreiben. Durch regulatorische Hürden und eine nicht mehr zeitgemässe Gesetzgebung in der Berufsbildung wird der Fortschritt ausgebremst.
Stellvertretend für den Bund muss das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) den Weg für die Digitalisierung in der Berufsbildung ebnen. Die Trägerschaften haben Anrecht auf einfache Prozesse der Berufsentwicklung, kurze Durchlaufzeiten und Raum für Innovation und Agilität. Keine Branche wird an der digitalen Transformation vorbeikommen. Und das SBFI muss diese Entwicklung im Bildungsbereich mit aller Kraft unterstützen. Es steht ein Paradigmenwechsel an, bei dem es darum geht, Prozesse zu digitalisieren und dabei neu zu denken. Anstatt bestehende Strukturen nach individuellen Bedürfnissen zu digitalisieren, benötigen Berufs- und Branchenverbände Orientierung, Handlungsempfehlungen und vor allem Rechtssicherheit im Datenschutz und Profiling bei der Durchführung zentraler und dezentraler Online-Prüfungen.

Der Begriff «Digitalisierungswüste» ist überspitzt und wird nicht allen Aspekten der digitalen Transformation gerecht. Regulatorische Hürden trocknen jedoch nicht nur die Digitalisierungslandschaft der Berufsbildung weiter aus, sondern erschweren auch den Fachkräfteaufbau. Damit in allen Branchen ausreichend Fachkräfte ausgebildet und geprüft werden können, muss das Berufsbildungsgesetz auch Englisch als Prüfungssprache zulassen. Das ist heute nicht der Fall. Die Prozesse müssen agil und schnell sein, damit die Berufsbildung mit gleich langen Spiessen wie andere tertiäre Weiterbildungen, etwa CAS, DAS oder MAS, auf dem Markt bestehen kann.


Auch der Ansatz, zumindest über eine nationale Prüfungsplattform nachzudenken, läge im Sinne vieler kleiner und mittelgrosser Trägerschaften eidgenössischer Prüfungen. Unsere Handlungsempfehlung für alle Akteure im Bildungssystem lautet: Digital arbeiten bedeutet, Informationen aktiv teilen, Wissen weitergeben, flache Hierarchien, Fach-Silos überwinden, rasche Entscheidungswege, Soft Skills fördern und vernetzt arbeiten. Je digitaler die Prozesse, desto wichtiger werden eine pragmatische Lösungsfindung und gesunder Menschenverstand.


Kommentare
Ich kann die Voten von Serge Frech unterstützen, würde aber lieber gleich noch zwei Schritte weitergehen. Anstatt dass wir uns über die Art der Prüfungen unterhalten, sollten wir die Ausbildungsprozesse hinterfragen und revolutionieren. Wenn wir diese Prozesse in den Griff bekommen, so brauchen wir keine Abschlussprüfungen mehr - wir bilden ja gut aus. Dann wird die Diskussion hinfällig und wir sparen sehr viele Ressourcen.
Donnerstag, 13. Juli 2023, Alois Gartmann



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