Let's fetz im Stromnetz

Dem Geschäft mit Homeplug AV, dem Netzwerk via Stromleitung, sagen Marktforscher rosige Zeiten voraus. Kunden zögern noch, weil sie schlecht informiert sind, und Händler, weil sie ihr Servicegeschäft gefährdet sehen.

Artikel erschienen in Swiss IT Reseller 2006/19

     

Überall dort, wo Wände die Heimvernetzung via Wireless LAN erschweren oder verhindern, schlägt die Stunde der Homeplug-Technologie, des Netzwerkes via Stromleitung. Die auf dem Homeplug-AV-Standard - dem Nachfolger von Homeplug 1.0 - basierenden neuen Produkte warten mit Übertragungsraten von bis zu 200 Mbit/s auf (die reale Performance wird auf 70 bis 100 Mbit/s geschätzt). Somit bilden sie eine ideale Lösung für High-Definition-IPTV sowie Triple-Play- und Multimedia-Home-Entertainment-Anwendungen.
Neben dem Aachener Hersteller ­Devolo, einst aus der insolventen Elsa hervorgegangen und in der Schweiz durch die Embracher Sales Activity Group vertreten, drängen in letzter Zeit immer mehr Anbieter von Homeplug-Angeboten auf den Markt. Neben Devolo sind da vor allem Netgear und Allnet zu nennen, aber auch US Robotics, Zyxel und Panasonic wollen im Markt für Homeplug mitmischen. Für die Schweiz sind Devolo, Netgear und Zyxel relevant. Letztere bieten allerdings «nur» OEM-Produkte an, während Devolo seine Produkte selbst entwickelt. Devolo hat laut eigenen Angaben mit dem «dLAN 200 Avdesk» soeben das weltweit erste Homeplug AV-basierende Produkt auf den Markt gebracht.

Vor dem Durchbruch

Homeplug AV be­ginnt sich neben Wireless LAN und Ethernet als dritte Alternative immer mehr zu etablieren und steht laut Marktforschern vor dem grossen Durchbruch. Zwar sind die Konsumenten aufgrund des geringen Wissens über die entsprechenden Technologien und die Vielzahl der konkurrierenden Standards noch zurückhaltend und verunsichert. Trotzdem prognostizieren beispielsweise Marktforscher der Diffusion Group und der In-Stat-Group, dass es bis 2008 weltweit zwischen 162 und 200 Millionen Heimnetzwerke mit 974 Millionen installierten Endgeräten geben wird. Ein Grossteil der Geräte soll in Zukunft via Stromleitung vernetzt sein.Weltweit existieren bereits heute mehrere Millionen Homeplug-Installationen, Europa liegt mit der Verbreitung dabei noch vor den USA und Asien an erster Stelle.

Das grosse Geschäft

Nicht nur Energieversorgern, sprich Stromlieferanten, eröffnen sich neue Geschäftschancen. Auch Fachhändlern im Consumer-Electronics- und IT-Bereich, Elektroinstallateuren, Netzwerkern oder Bauherren und Architekten winken neue Absatzmöglichkeiten. Zudem versuchen sich diverse Hersteller und deren Allianzen bei der Entwicklung von Powerline-Technologien zu übertrumpfen, um vom Kuchen etwas abzubekommen. Derzeit gibt es insgesamt etwa dreizehn PLC(Powerline Communications)-Technologien und mindestens achtzehn PLC-Chiphersteller. Gemäss Christoph Rösseler, Marketing- und PR-Direktor von Devolo sind derzeit nur die folgenden drei Technologien relevant:
¦ Homeplug AV: Diese Technologie verwendet Chips von Intellon, einem in Ocala, Florida, ansässigen Anbieter von Powerline-Schaltungen, die auf dem Homeplug-AV-Standard basieren. Die Technologie wird von Industrie-grössen wie Intel, Motorola, Sony, Sharp, Siemens, Linksys und Samsung unterstützt, die sich in der Homeplug-Industrie-Allianz zusammengeschlossen haben.
¦ UPA (Universal Powerline Associa­tion): Dieser Technologie liegen Chips des spanischen Unternehmens Design of Systems on Silicon (DS2) zugrunde. Bekannte Mitglieder bei UPA sind unter anderem Netgear und Toshiba.
¦ CEPCA (Consumer Electronic Powerline Communication Alliance): Neben den beiden Ersterwähnten befasst sich auch die CEPCA mit der Standardisierung von Powerline. Die CEPCA, eine von Panasonic, Sony und Mitsubishi im Jahr 2005 ins Leben gerufene Allianz, hat einen PLC-Standard mit einer Datenrate von 170 Mbit/s entwickelt. Im November führt Panasonic seinen HD-PLC-Adapter «BL-PA100» im Schweizer Markt ein. Panasonic verspricht eine Durchsatzrate von 190 Mbit/s.


Die drei Allianzen arbeiten allerdings nicht zusammen und tauschen auch ihre Ergebnisse nicht untereinander aus. So sind denn auch die entwickelten Powerline-Standards inkompatibel zueinander.

Auf und ab bei Powerline

Powerline war schon vor sechs Jahren im Gespräch. Unter anderen entwickelte die entsprechende Abteilung von Ascom Geräte für Access Powerline - Internet via Stromkabel - und führte diverse Feldtests durch. Anfang des neuen Jahrtausends wollte Ascom mit Powerline zu den ganz Grossen im Netzwerkgeschäft aufsteigen. Aufgrund technischer Unzulänglichkeiten, elektrischer Interferenzen und fehlender Akzeptanz seitens potentieller Anwender verliefen diese ersten Anstrengungen allerdings im Sand. Im Frühling dieses Jahres verabschiedete sich der inzwischen zum Dienstleister mutierte ehemalige Telekommunikationshersteller endgültig vom Powerline-Geschäftsbereich und verlor damit jede Menge Geld.
Zumindest was das Stören des Funkbetriebs durch Powerline-Dienstleistungen betrifft, ist man mit der Homeplug-AV-Technologie auf der ­sicheren Seite: Homeplug-AV-Produkte stören den Funkverkehr nicht, da sie sogenannte Notches hinsichtlich anderer Technologien verwenden und Amateurfunkfrequenzen beispielsweise nicht tangieren. Aber auch bei Homeplug AV gibt es einen Wermutstropfen: Gegenüber dem Vorgängerstandard Homeplug 1.0 und gegen­über BPL (Broadband over Powerline, Access Powerline) verhält sich Homeplug AV nur koexistent, wie es so schön heisst. Kurz: Die Technologien sind nicht untereinander kompatibel. «Access Powerline ist aus unserer Sicht tot und wird sich nicht mehr weiterentwickeln», versucht Rösseler von Devolo abzuwiegeln.

Gute Idee, Business bedroht

IT Reseller hat sich unter Schweizer Elektroinstallateuren, die sich des Themas Home-Vernetzung angenommen haben, umgehört. Hier hat sich gezeigt, dass die Vorteile von Homeplug AV von der breiten Masse noch nicht er- oder anerkannt worden sind. Auch die Fachleute selbst hielten sich mit ihren Antworten bedeckt, da Homeplug noch nicht wirklich für sie zum Thema geworden ist. Devolo hat in Deutschland zwar unterdessen mehr als eine Million Adapter - zwischen 18‘000 und 20‘000 pro Monat - verkauft und auch in der Schweiz laufe das Geschäft nicht schlecht. Rösselers Vermutung geht allerdings dahin, dass die technikorientierten jungen Anwender die Hauptgruppe der Käufer darstellen. Der Rest der Bevölkerung ist noch zögerlich. «Es wurde noch nie eine solche Installation von unseren Kunden verlangt», sagt Michael Probst von der Zürcher Atel Gebäudetechnik. «Homeplug ist eine gute Idee, aber noch nicht ausgereift», fügt er an. Dabei liegen die Vorteile gegenüber WLAN für den Kunden klar auf der Hand: Er kann das ganze Haus vernetzen, ohne an physische Grenzen wie Wände und Decken zu stossen, und die Installationskosten sind sehr gering respektive inexi­stent. Möglicherweise auch ein Grund, weshalb Homeplug durch Netzwerker und Elektroinstallateure nicht unbedingt gepusht wird. Auf die Frage, ob sie ihr Business durch Homeplug AV bedroht sehen, antwortete die Mehrheit mit Ja, da «ein Teil der heutigen Installationen im IT-Bereich sicherlich entfallen werden», so Probst. (sk)

Homeplug AV

Übertragungsmedien: 50/60-Hz-Wechselstromleitungen oder Coax-Kabel
Link- respektive Datenrate: 200 Mbit/s
TCP-Datenrate: 60 Mbit/s
UDP-Datenrate: 85 Mbit/s
Flächendeckung: bis 300 Meter, kompletter Haushalt
Übertragungsverfahren: TDMA
Ethernet-Kompatibilität: Ja (CSMA)
Koexistenz mit Hausautomation: Ja (X10, Lonworks, CEBus)
Frequenzbereich PHY: 2 bis 28 MHz
Anzahl Trägerfrequenzen: 1155
Modulationsverfahren: OFDM und Turbo Convolutional Code (TCC)
Sicherheit: 128-Bit-AES-Verschlüsselung


Artikel kommentieren
Kommentare werden vor der Freischaltung durch die Redaktion geprüft.

Anti-Spam-Frage: Wieviele Zwerge traf Schneewittchen im Wald?
GOLD SPONSOREN
SPONSOREN & PARTNER